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: Wer braucht Kunstfeinde, wenn er Jonathan Meese hat? Ein Buch über Kunstfeindschaft

Jonathan Meese nahm im Februar den B.Z.-Kulturpreis, den Kunstpreis des Berliner Bild-Ablegers, entgegen. Die Laudatio hielt sein Sammler Guido Westerwelle. Udo Jürgens sang dazu „Griechischer Wein“. Später wurde die Preisübergabe in der Berliner Volksbühne als Videoprojektion gezeigt. Ist das tatsächlich lustig, originell oder gar subversiv? Eben nicht: Die Volksbühne ist der falsche, da allzu passende Ort für den Widerstand – danach. Um seinem Ruf als Rebell gerecht zu werden, hätte Meese an Ort und Stelle, also bei der Preisverleihung im Springer-Haus, mindestens mit dem hübschen Dutschke-Pullover auftreten können. Oder Beuys-like bekennen: „Ich führe Eva Haule durch die documenta 12.“ Meeses Aktionismus ist tatsächlich harmlos, tut niemandem weh und lässt vor allem alles an seinem Platz. Er beweist aber, dass der Kapitalismus und der in ihm fest integrierte Kunstbetrieb nicht nur Heuschrecken, sondern auch seine eigenen Bürgerschrecks kreiert. Alles ist käuflich, selbst vermeintlicher Widerstand. Das könnte zu Ekel und Aversion gegen den Kunstbetrieb, gegen die Kunst als den Hort scheinbarer Freiheit und neuer Wahrheiten führen. Aber geht es in der Kunst wirklich um Wahrheit oder nicht eher um Täuschung, Verstellung und Lüge?

Zeit, sich das Buch von der „Kunstfeindschaft“ zu besorgen. Denn vermutlich ist Meese ein netter, sympathischer Typ und kann natürlich nichts dafür, dass es gerade so läuft, wie es gerade läuft. Schwierig sei es, das Thema aufzuwerfen, so Autor Kai Hammermeister, dem Begriff der Kunstfeindschaft hafte etwas Anrüchiges an. Die Wertschätzung der Kunst sei heute so einvernehmlich, dass die gegenteilige Position aus dem Bewusstsein verschwunden sei. In der Tat klingt diese nach Spätmittelalter, Gegenaufklärung, nach der kunstfeindlichen Reformation. Und so möchte er das verdrängte Thema mit seiner kleinen Systematik aus der Schmuddelecke holen. Zudem habe die Kunstfeindschaft keine festumrissenene Position innerhalb der Philosophie. Dennoch existiere sie und habe entscheidenden Einfluss, beispielsweise auf Zensur oder dort, wo eine Idee die Masse ergreife und zur Kunstzerstörung führe. Könnte, so Hammermeister, ein kunstfeindlicher Diskurs nicht auch eine Chance bieten, weniger verkrampft über die Autonomie der Kunst zu denken? Könnte das Aufgeben eines Kunstkonzepts, in dem diese nur sich selbst Rechenschaft schuldet, nicht auch als Chance begriffen werden?

So macht sich der Autor daran, trotz „aller gebotenen Vorsicht“ der ungeschriebenen Geschichte der philosophischen Kunstfeindschaft vier Kategorien einzurichten: eine ontologische, eine epistemologische, eine ethische und eine psychohygienische – die er selbst unterläuft, sehr charmant. In der Kunstfeindschaft spannt er den Bogen von der griechischen Philosophie, von Platon bis zu den modernen Philosophen, zu Adorno, Heidegger und Gadamer. Die Kunst als Nachahmung der Wirklichkeit, als Schattenbild. Alles Lug und Trug. Verweichlichung und Dekadenz. Und immer wieder tauchen ähnliche Muster auf, die den Sinn, Unsinn, die Funktion und Bedeutung der Kunst aus Sicht ihrer Feinde untersuchen.

Es wird klar, dass der Kunstfeind die Kunst oft ernster nimmt als mancher Kunstfreund: So ist die kunstpreisverleihende B.Z. überraschend eindeutig einzuordnen in die Kategorie Ethische Kunstfeindschaft – neben Bild und National-Zeitung die einzige deutsche Tageszeitung, die gar generelle Deutungshoheit über Kunst beansprucht, indem sie bei Bedarf das Wort „Kunst“ mutig und selbstsicher mit Anführungszeichen versieht: „Das soll ‚Kunst‘ sein?“ Ja, frei wird die Kunst erst da, wo sie nicht mehr wahr sein muss. Fazit: Meese führt vor, wie leer der traditionell konservative Kunstbetrieb derzeit ist. Das ist auch eine Qualität. Und kein Grund zur Feindschaft: So harmlos kann Kunst sein. WOLFGANG MÜLLER

Kai Hammermeister: „Kleine Systematik der Kunstfeindschaft“. WBG Darmstadt 2007, 182 Seiten, 34,90 Euro