Haft für syrische Oppositionelle

Ein Gericht in Damaskus fällt die letzten Urteile in einer Serie von Verfahren gegen Regimekritiker. Vor allem Kontakte im Ausland sind den Herrschenden ein Dorn im Auge

DAMASKUS taz ■ Das Oberste Strafgericht in Damaskus hat gestern das vorerst letzte Urteil in einer Reihe von Prozessen gegen prominente Oppositionelle gefällt. Michel Kilo, Autor und Vertreter der Zivilgesellschaft, und der Übersetzer Mahmoud Issa müssen für je drei Jahre ins Gefängnis, weil sie laut Gericht „nationale Gefühle geschwächt“ und „zu sektiererischen Kämpfen angestiftet“ haben.

Die beiden Aktivisten hatten vor einem Jahr mit mehreren hundert anderen die Damaskus-Beirut-Erklärung unterschrieben, in der Intellektuelle beider Länder eine Normalisierung der syrisch-libanesischen Beziehungen fordern. Zwei weitere Regimekritiker, die flüchtig sind, wurden in Abwesenheit zu jeweils zehn Jahren Haft verurteilt. Ihnen wird zusätzlich vorgeworfen, „Syrien in Gefahr gebracht“ zu haben.

In dem kleinen Verhandlungsraum im dritten Stock des Justizpalastes drängten sich Angehörige, Freunde, Anwälte, Oppositionelle und Diplomaten. Kaum hatte der Richter das Strafmaß verkündet, brach Beifall aus – ein Versuch, den Verurteilten Mut zuzusprechen. Kilo und Issa, die in einen vergitterten Teil des Raums gesperrt waren, gaben sich vom Urteil unbeeindruckt. „Nicht wir sind die Verbrecher“, rief Kilo, „sondern dieses Urteil ist ein Verbrechen.“

Rechtsanwälte bezeichnen die Entscheidung des Gerichts als politisch motiviert. Bereits zuvor waren der Menschenrechtsanwalt Anwar al-Bunni zu fünf und der Arzt und Maler Kamal Labwani zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. „Eine eindeutige Botschaft an alle Syrer“, meint ein Aktivist aus Aleppo. Meinungsvielfalt sei unerwünscht, wer eine andere Meinung als der Präsident oder die Baathpartei vertrete, müsse ins Gefängnis. Jede Hoffnung auf eine politische Öffnung des Landes sei nun gestorben, ergänzt der Vertreter einer syrischen Menschenrechtsorganisation. Reformprojekte wie die Zulassung anderer Parteien oder die Einschränkung des seit 44 Jahren geltenden Ausnahmezustands blieben weiterhin leere Versprechungen.

Laut Beobachtern verdeutlichen die Prozesse die Angst des Regimes vor einer ausländischen Einmischung. Kilo und Issa hatten sich im Zusammenhang mit der Damaskus-Beirut-Erklärung mit libanesischen Intellektuellen ausgetauscht, al-Bunni hatte ein von der Europäischen Union finanziertes Menschenrechtszentrum in Damaskus eröffnet und einen Bericht über Folter in syrischen Gefängnissen veröffentlicht. Labwani hatte sich in Washington mit Vertretern der US-Regierung getroffen, was ihm den Vorwurf einbrachte, einen ausländischen Staat „zu einem aggressiven Akt gegen Syrien aufgehetzt“ zu haben.

Aus Sicht der Machthaber in Damaskus haben die Verurteilten mit ihren Auslandskontakten rote Linien überschritten. Denn nach den Erfahrungen in Afghanistan und im Irak fürchtet das syrische Regime nichts so sehr wie eine Annäherung zwischen syrischen Oppositionellen und ausländischen Regierungen, sei es die libanesische, die amerikanische oder einzelne europäische. KRISTIN HELBERG