Grüne wollen Rot-Grün, die SPD will nur SPD

Während die Sozialdemokraten in Berlin nur über sich selbst reden, feiert die Ökopartei das Comeback grüner Themen und einen großen Sieg

BERLIN taz ■ Als die ersten Hochrechnungen im Fernsehen verkündet wurden, waren oben in den Büroräumen des grünen Parteivorstands spitze Begeisterungsschreie und lautes Rumpeln zu hören. Kurz darauf lief Parteichefin Claudia Roth die Treppe herunter und rauschte mit geröteten Wangen in den Pressesaal. „Das ist ein ganz, ganz großartiges Ergebnis“, rief sie. „Das ist mit Abstand das beste Ergebnis in der doch nicht mehr ganz jungen Geschichte unserer Partei“.

Tatsächlich liegen die erreichten 16,5 Prozent nicht nur klar über dem Ergebnis der letzten Bürgerschaftswahl 2003, sondern auch klar über der optimistischen Zielmarke der Grünen von „15 plus x“. Und sie beschert der Umweltpartei das beste Ergebnis, das sie in ihrer bald 30-jährigen Geschichte je in einer Bundes- oder Landtagswahl erzielt hat. Für Roth „ein ganz, ganz klarer Auftrag, Regierungsverantwortung zu übernehmen“. Ein Zeichen, „dass die große Koalition abgewirtschaftet hat“. Diese Wahl mache deutlich, dass „unsere Themen ganz oben auf der Tagesordnung stehen“, freute sich die Parteivorsitzende. „Das gilt für eine gute Klimapolitik, das gilt für unsere Politik, Kinder in den Mittelpunkt zu stellen, das gilt für unsere Politik, auf Integration zu setzen und nicht auf Ausgrenzung.“

Reinhard Bütikofer, ebenfalls Parteivorstand, der in Bremen den Wahlsieg feierte, freute sich unbändig: „Die Leute wollen offenbar mehr grüne Politik.“ Für die Partei, die derzeit an keiner Regierung beteiligt ist, rückt damit eine Neuauflage von Rot-Grüne näher. „Wir gehen mit ruhigem Selbstbewusstsein in die Sondierungsgespräche“, kündigte Bütikofer an – und klang fast so, als hätten die Grünen die nächste Bundestagswahl schon gewonnen und nicht die Wahl im kleinsten Bundesland der Republik.

Je länger der Abend wurde, desto schöner redeten sich die Sozialdemokraten in Berlin das Ergebnis ihrer Genossen in Bremen. Kurz vor 19 Uhr, als der Parteivorsitzende Kurt Beck vor die geschäftsmäßig jubelnden Anhänger im Willy-Brandt-Haus trat, war aus den großen Stimmverlusten schon ein großartiger Sieg geworden. Die SPD in Bremen sei die „mit weitem Abstand stärkste Partei“, sagte Beck. Sie habe ihre Ziele erreicht, gegen sie könne nicht regiert werden. Ende der, nun ja, Analyse.

Es gehört offenbar zur geistigen Grundausstattung eines Politikers, an Wahlabenden höchstens die halbe Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen. Kurt Beck ist da keine Ausnahme, allerdings auch kein herausragendes Exemplar eines Schönredners. Er verwies auf die Tatsache, dass bei den drei Landtagswahlen in den zurückliegenden zwölf Monaten, also in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen, stets die SPD vornegelegen habe. Was Beck an diesem Abend jedoch überging, war das überraschend gute Ergebnis der Linken. Um vorauszusagen, dass dieser Vormarsch der Linkspartei zu dauerhaften Verlusten der Sozialdemokraten führen wird, muss man kein Parteienforscher sein. Beck ging darauf mit keinem Wort ein. Auch die Frage nach einem Comeback von Rot-Grün ließ er unbeantwortet. Mit wem die SPD in Bremen regieren werde, sagte er, entscheide allein die SPD in Bremen.

Die analytische Feinarbeit überließ der Parteivorsitzende seinem Generalsekretär Hubertus Heil und Fraktionschef Peter Struck, die sich nach Becks Rede unter die Journalisten mischten. Die beiden fanden erwähnenswert, dass es bei der Bremenwahl keinen „Merkel-Effekt“ gegeben habe. Dass der Erfolg der Linken – „oder wie sich die PDS da gerade nennt“, so Heil – eine Eintagsfliege sei und nicht auf andere westdeutsche Bundesländer übertragen werden könne. Dass das Thema Mindestlohn bei den Wählern gut ankomme, also ein „Signal“ für die heutige Koalitionsrunde in Berlin sei, wo Union und SPD darüber verhandeln werden, ob es ein Gesetz über einen Mindestlohn geben soll.

KATHARINA KOUFEN, JENS KÖNIG