Boulevard der Biederkeit

Heute startet bei uns die neue Staffel von „Let’s Dance“ (RTL, 21.15 Uhr) – was auch passiert, sie wird niemals so populär wie „Dancing Stars“ in Österreich, wo die Tanzshow Abbild der Gesellschaft ist

VON MATIN LANGEDER

89 Jahre nach dem Untergang der österreichisch-ungarischen Monarchie wächst wieder zusammen, was schon mal zusammengehörte: Mit einer Live-Hochzeit der Tirolerin Alice Guschelbauer und des Ungarn Balázs Ekker krönte der ORF kürzlich das Finale seiner dritten „Dancing Stars“-Staffel.

Die österreichische Variante des BBC-Erfolgsformats ist längst mehr als eine Tanzshow: Es geht weniger um einen sportlichen Wettstreit, vielmehr zelebriert hier eine bunt zusammengewürfelte Tanztruppe die Leichtigkeit des Seins. An guten wie an schlechten Tagen, wenn sich etwa einer der Teilnehmer eine Rippe bricht, gilt das Motto: We are family. Das kommt an in der harmoniebedürftigen Alpenrepublik. Kurz vor Mitternacht verfolgten immerhin noch knapp eine Million Österreicher die Trauung der beiden Profitänzer, die – so viel Ordnung muss sein – ein etwas dröger Standesbeamter der Magistratsabteilung 35 der Stadt Wien vornahm.

In Deutschland plätscherte „Let’s Dance“ im Vorjahr an den Sehern vorbei – ohne die ungelenken Tanzdarbietungen der Ex-Ministerpräsidentin Heide Simonis wäre die RTL-Show wohl überhaupt nicht ins Gerede gekommen. Ganz anders in Österreich, wo die tanzenden Prominenten in den bisher drei Staffeln verlässlich für Topquoten wie Gesprächsstoff sorgten. Da kommt selbst die hohe Politik nicht daran vorbei. Während in ORF 1 das Finale der Show über das Parkett ging, musste sich die lebenslustige Gesundheitsministerin mit Hang zum Aktionismus in den Abendnachrichten in ORF 2 die Frage gefallen lassen, ob sie denn bei der nächsten Staffel mittanzen werde. Natürlich nicht, antwortete sie.

Und selbst wenn: Es würde ihr vermutlich kaum zum Nachteil gereichen. In einem Land, in dem sich einmal im Jahr die halbe Republik in den Frack zwängt, um sich am Wiener Opernball dem Walzertaumel hinzugeben. In einem Land, in dem der Handkuss noch immer Ausdruck guten Benehmens ist. Und in einem Land, in dem der Tanzschulbesuch zur Pubertät gehört wie der Griff zur Clearasil-Flasche. Ein gewaltiger Popularitätsschub wäre der Ministerin sicher. Ebenso wie den bisherigen „Dancing Stars“-Promis, die für die Dauer des Tanzwettbewerbs mit kräftiger Mithilfe des Boulevards den Zenit ihrer Bekanntheit genossen.

Da konnte sich Thomas Schäfer-Elmayer – Leiter der wohl bekanntesten Wiener Tanzschule mit Benimmunterricht – in der Jury noch so sehr abmühen, wenn er die Fernsehnation auf mangelndes Taktgefühl aufmerksam machte und fehlerhafte Schrittfolgen entlarvte. Die Sympathien des Publikums galten nicht den perfekten Tänzern, sondern meist denjenigen, die sich mit dem besten Schmäh von Runde zu Runde schummelten, äh, tanzten. Fremdschämen brauchte sich dabei niemand. Tanzen bedeutet den Österreichern vor allem eines: Spaß haben, ohne sich für Fehltritte genieren zu müssen. Fußballpensionist Toni Polster zum Beispiel hatte in der ersten Staffel mit seinem gewöhnungsbedürftigen Tanzstil tatsächlich Chancen auf den Sieg. Er musste sich schließlich doch mit dem zweiten Platz begnügen. Den Sieg heimste eine alles andere als gertenschlanke Sängerin ein, die prompt zum Idol aller Diät-resistenten Mittfünfzigerinnen avancierte.

Die Show funktioniert nach dem Operetten-Prinzip, Happy End inklusive: etwas Glamour, Liebesgeflüster, viel Lokalkolorit – und aus Film, Funk und Fernsehen bekannte Tanznovizen, die von Runde zu Runde bei Tango, Cha-Cha-Cha und Paso Doble immer mehr aus sich herausgehen.

Und weil’s so schön war, versammelte sich die komplette „Dancing Stars“-Familie nach dem eigentlichen Finale noch einmal für eine 100-minütige Highlights-Show – quasi als Vorprogramm zur Traumhochzeit. Bei dieser Gelegenheit saß selbstverständlich auch der zuletzt wegen der im April gestarteten Programmreform arg gescholtene ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz im Publikum. Ebenso herausgeputzt wie die übrigen Studiogäste, die Woche für Woche in den prächtigen Tanzsaal im ORF-Zentrum am Küniglberg hoch über Wien strömten. Noch einmal erlebten sie das Treiben am Boulevard der Biederkeit hautnah mit, bei dem Moderator Alfons Haider für österreichische Verhältnisse stets ziemlich weit gehen durfte. Nach seinem Coming-out vom ORF zunächst mit mehreren Jahren Auftrittsverbot belegt, revanchiert er sich nun mit kecken Bemerkungen zur fehlenden Homo-Gleichstellung. Und träumt öffentlich davon, dass endlich zwei Männer gemeinsam auftanzen. Vielleicht ist es schon in der vierten Staffel so weit – die ist nämlich bereits beschlossene Sache.