Benedikt XVI. gegen Marx und Globalisierung

Zum Abschluss seines Brasilienbesuchs predigt der Papst für die Armen, aber gegen „überkommene Ideologien“

PORTO ALEGRE taz ■ Im Marienwallfahrtsort Aparecida hat der Papst seine fünftägige Brasilienreise mit einer Grundsatzrede abgeschlossen. Zur Eröffnung der fünften lateinamerikanischen Bischofskonferenz, der ersten seit 1992, kritisierte Benedikt XVI. am Sonntag die Auswüchse der Globalisierung und den Marxismus gleichermaßen. Die Völker Lateinamerikas und der Karibik hätten ein „Recht auf ein Leben ohne Hunger und Gewalt“, so der Papst. Dort wachse die Kluft zwischen Arm und Reich, die natürlichen Ressourcen würden geplündert, die Menschenwürde werde durch Drogen, Alkohol und Glücksverheißungen verletzt.

Zugleich verurteilte er „autoritäre Regierungen oder Ideologien, die bereits als überkommen angesehen wurden“ und mit der katholischen Soziallehre nichts zu tun hätten – ein kaum verhüllter Hinweis auf den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, den Hugo Chávez in Venezuela anstrebt. Christen sollten den Armen zur Seite stehen, aber sich nicht direkt politisch engagieren, meinte Benedikt XVI. Die von der lateinamerikanischen Kirche propagierte „Option für die Armen“ sei im christlichen Glauben enthalten, sagte er unter dem Beifall der 162 Bischöfe, die bis zum 31. Mai an der Konferenz teilnehmen.

In seiner Sonntagspredigt sagte der Papst, Lateinamerika sei der „Kontinent der Hoffnung“, aber nicht „wegen einer politischen Ideologie, einer sozialen Bewegung oder eines Wirtschaftssystems“, sondern wegen seines „Glaubens an den Gott der Liebe“. Trotz strahlenden Sonnenscheins waren nur 150.000 Menschen nach Aparecida gekommen – erwartet hatte man dreimal so viele.

Die Reaktionen auf die zwölf Reden des bayerischen Papstes waren geteilt. „Wenn er weniger geredet und mehr zugehört hätte,“ sagte der Religionssoziologe Luiz Alberto de Souza, „hätte er erfahren, dass die Gläubigen über Themen diskutieren möchten, die er eingefroren hat, etwa über Sexualität oder das Zölibat.“ Sein Kollege Hermas Lício hingegen lobte: „Er sagte ohne Halbheiten oder Umschweife, was gesagt werden musste“.

Für die Theologin Maria Clara Lucchetti Bingemer war der kurze Besuch eines Rehabilitierungszentrums für drogenabhängige Jugendliche am Samstag der Höhepunkt der Papstvisite: „Dort war er am liebevollsten, er hat auf Allgemeinplätze verzichtet und unter den Ausgeschlossenen Partei für sie ergriffen.“ Odilo Scherer, der Erzbischof von São Paulo, räumte ein: „Wir haben nicht die Illusion, dass sich jetzt die Situation schlagartig ändert. Nicht einmal der Papst selber glaubt das.“

GERHARD DILGER

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