Wieder keine Einigung bei Mindestlohn

Bei den Verhandlungen um einen Mindestlohn kann sich die SPD nicht gegen die Union durchsetzen

BERLIN taz ■ Der Koalitionsgipfel am Montagabend ist erneut ohne Einigung beim Thema Mindestlöhne zu Ende gegangen. Jetzt droht echter Streit. Noch einmal wurde die offizielle Frist für einen Kompromiss verlegt, nun auf den nächsten Gipfel am 18. Juni. Doch ein vorzeigbares Ergebnis wird für die SPD immer unwahrscheinlicher. Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) zeigte sich gestern „enttäuscht“ und „unzufrieden“ mit dem Verlauf der Verhandlungen. SPD-Fraktionschef Peter Struck sagte: „Ich gebe gerne zu: Bei den Mindestlöhnen haben wir uns nicht durchsetzen können.“ Union und SPD werfen sich gegenseitig „ideologische“ Sichtweisen vor.

Die Union wehrt sich gegen einen gesetzlichen Mindestlohn. Wie viel in den einzelnen Branchen verdient wird, soll Sache der Tarifparteien bleiben. Ihr Maximalzugeständnis ist daher die Ausweitung des Entsendegesetzes auf weitere Branchen, aber ohne eine Untergrenze für Löhne festzulegen. Die SPD will genau das: eine Grenze, unter die das Lohnniveau nicht sinken darf. Diese müsse bei „Hartz IV plus Unterkunft plus 25 Prozent“ liegen, so Müntefering. Darüber hinaus sollen Arbeitnehmer und Arbeitgeber möglichst in jeder Branche einen Tariflohn aushandeln, der per Verordnung für verbindlich erklärt wird.

Mit den SPD-Forderungen verglichen sind die Ergebnisse, die Müntefering gestern präsentierte, minimal. Neu ist lediglich das gesetzliche Verbot von Löhnen, die mehr als 25 Prozent unter Tarifhöhe liegen, als „sittenwidrig“ sowie die Einigung auf einen „Erwerbstätigenzuschuss“ für Niedriglöhner. Wer 800 Euro verdient, erhält 160 Euro, bis 1.300 Euro sinkt dieser Zuschuss auf null. Bisher werden solche Einkommen durch Arbeitslosengeld aufgestockt. Immerhin gilt als wahrscheinlich, dass das Entsendegesetz auf bis zu 10 Branchen ausgedehnt wird.

Die Debatte um Mindestlöhne hatte in letzter Zeit immer absurdere Züge angenommen. Den vorläufigen Gipfel bildet ein Gesetz von 1952, das Kanzlerin Angela Merkel am Wochenende hervorzauberte. Demnach gibt es in Deutschland bereits eine gesetzlich geregelte Lohnuntergrenze – und zwar seit 55 Jahren. Dieses „Mindestarbeitsbedingungsgesetz“ legt fest, dass der Staat „in Arbeitsmarktsegmenten ohne tarifliche Sicherheit ein Entgelt festsetzen“ kann.

Müntefering versuchte dies gestern mit Galgenhumor als „erstes Zugeständnis der Union zum gesetzlichen Mindestlohn“ zu interpretieren. In Wirklichkeit fand es noch nie Anwendung und ist so definiert, dass nur sehr wenige – gestern fiel die Zahl 300.000 – Arbeitnehmer betroffen wären. Aber Müntefering steht unter Erfolgsdruck: Sein Zugeständnis zur Rente mit 67 nehmen ihm viele Sozialdemokraten und die Gewerkschaften übel. Familienpolitisch stiehlt von der Leyen seiner Partei die Show. DGB-Chef Michael Sommer lässt sich in letzter Zeit gerne mit Angela Merkel ablichten. Am linken Rand zieht die Linkspartei Stimmen ab.

Derart weich gewaschen, wie es mittlerweile ist, taugt das Thema Mindestlohn nicht mehr zur SPD-Profilierung – dafür aber als Wahlkampfthema. Ab 18. Juni dürften daher die Fronten zwischen den Koalitionspartnern wieder klarer verlaufen. Ein Mindestlohn käme dann frühestens ab 2009. KATHARINA KOUFEN