„Sarkozy wird ein sehr mächtiger Präsident“

Der neue französische Präsident besänftigt die Gewerkschaften, macht einen Sozialisten zum Außenminister und gibt sich diplomatisch. Doch Nicolas Sarkozy wird, sagt Alfred Grosser, ein Präsident der Reichen sein

ALFRED GROSSER, geboren 1925 in Frankfurt am Main, floh mit seiner jüdischen Familie 1933 aus Nazi-Deutschland, seit 1937 ist er französischer Staatsbürger. Als Politikwissenschaftler, Publizist und Kolumnist französischer Zeitungen sowie als Autor zahlreicher Bücher setzte er sich seit den 60ern für die Verständigung zwischen Deutschen und Franzosen ein. Zuletzt schrieb er: „Wie anders ist Frankreich?“, C. H. Beck, 2005.

taz: Herr Grosser, wird der französische Präsident Sarkozy außenpolitisch mit dem traditionell US-skeptischen Kurs der Gaullisten brechen?

Alfred Grosser: Sarkozy ist auf derselben Linie wie Angela Merkel. Also gute Beziehungen zu den USA, aber trotzdem Kritik an Bush. Kritik hat Sarkozy weniger beim Irakkrieg als an der Umweltpolitik der Bush-Regierung. Denn Umwelt wird eine sehr große Rolle spielen. Das erkennt man schon daran, dass der frühere Premier Alan Juppé wahrscheinlich Umweltminister wird.

Der Sozialist Bernard Kouchner wird wohl Außenminister. Das passt zu dem neuen, eher US-freundlichen Kurs – denn Kouchner hat ja als einer der wenigen Linken Bushs Irakkrieg unterstützt.

Nein, das sehe ich anders. Sarkozy hat den Irakkrieg stets für falsch gehalten – bei Kouchner war die Unterstützung der USA einfach ein Irrtum. Denn Kouchner ist der Meinung, dass man überall, wo Unterdrückung herrscht, eingreifen muss. Und das war im Irak unter Saddam Hussein so. Kouchner wird nun die Menschenrechte zum wichtigsten Thema der Außenpolitik machen. Und das wird, mit Blick auf das Verhältnis zu China und Russland, wirklich interessant.

Kouchners Berufung ist auch ein Schachzug, um die Sozialisten zu schwächen?

Ja, und zwar einer, der die Sozialisten wirklich trifft. Die Sozialisten sind sowieso in jämmerlichem Zustand, heillos zerrissen in einen sehr linken, verbalradikalen Flügel und einen sozialdemokratischen. Laurent Fabius will nach ganz links – Dominique Strauss-Kahn in die Mitte. Niemand weiß, wen man wählt, wenn man Sozialisten wählt. Deshalb wird Sarkozy die Parlamentswahlen im Juni gewinnen. Das ist keine Prophezeiung, sondern eine solide Prognose.

Auch mit absoluter Mehrheit gewinnen?

Das ist noch nicht sicher, aber sehr wahrscheinlich. Dann hätte er wirklich so viel Macht wie wenige Präsidenten vor ihm. Und die Möglichkeit, durchzusetzen, was er will.

Was will er denn? Innenpolitisch offenbar die Reichen entlasten und die 35-Stunden-Woche abschaffen. Wie hart wird der Konflikt mit den Gewerkschaften?

Das ist schwer abzusehen. Jedenfalls tut Sarkozy viel, um ihn zu entschärfen. Er hat vorgestern, noch vor seiner Vereidigung, mit Gewerkschaftern geredet. Und er ist davon abgerückt, dass die existierenden Gewerkschaften die Arbeiter nicht legitim repräsentieren. Die Gewerkschafter sind trotzdem misstrauisch: Sie vermuten, dass Sarkozy mit ihnen reden wird, nachdem er die Entscheidungen getroffen hat. Und die werden weh tun.

Welche?

Er wird die Renten im öffentlichen Dienst einfrieren oder senken. Und das Streikrecht ändern und dafür sorgen, dass in Schulen, U-Bahnen und Bussen auch bei Streiks ein Minimalbetrieb aufrechterhalten wird.

Bedeutet Sarkozy mehr Klassenkampf in Frankreich?

Nun, er ist nicht Thatcher. Er ist diplomatischer. Aber klar ist, dass dieser Präsident Politik für die Reichen machen wird. Am Wahlabend hat der Sänger Johnny Hallyday gesagt, dass er sein Vermögen nun nicht mehr in der Schweiz bunkern muss, weil ja Sarkozy regiert. Damit hat er schlicht Recht. Denn die Vermögensteuer wird faktisch abgeschafft.

Sarkozy hat sich als Innenminister als Hardliner gegenüber Jugendlichen in den Banlieues präsentiert. Wird dieser Konflikt eskalieren – oder hat er etwas gelernt?

Da muss man eher skeptisch sein. Sarkozy hat in den Banlieues die Polizei als reines Repressionsinstrument eingesetzt und damit den Konflikt zusätzlich verschärft. Er hat nun versprochen, viel für die Jugendlichen zu tun, also für Arbeit und Ausbildung. Aber das kostet viel Geld. Und das große Geheimnis ist bislang, wie Sarkozy gleichzeitig bessere Sozialpolitik finanzieren will, andere teure Wahlkampfversprechen erfüllen will – und die Schulden abbaut. Denn Schuldenabbau ist notwendig. Die Zinsen sind, nach der Erziehung, der zweitgrößte Posten im französischen Etat, noch vor dem Militär.

Der farbige Fußballer Lilian Thuram hat gesagt: „Sarkozy verhält sich nicht wie ein Rassist – er ist ein Rassist.“ Stimmt das?

Nein, er ist vor allem der Sohn eines Migranten aus Ungarn, der französischer Präsident geworden ist. Was wirklich kritikwürdig ist, ist die Migrationspolitik gegenüber Afrika. Zwar wird immer laut verkündet, man wolle Afrika helfen, schon damit es weniger Migranten von dort gibt. Faktisch aber holt man Studenten aus Afrika, also die Elite. So blutet Afrika aus. Ich fürchte, das wird sich unter Sarkozy nicht ändern – ebenso wie die schreckliche Behandlung von Asylsuchenden, die vielfach rechtswidrig abschoben werden.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE