Politisches Zauberflöten

Eine anthroposophische Idee stand Pate: Der Nachwuchs im Ruhrgebiet soll musikalischer werden. Bund, Land und Stifter bringen Millionen auf, damit jedes Kind ein Instrument erlernen kann

AUS BOCHUM BERND SCHÄFER

Nervös war Lene eigentlich gar nicht und cool fand sie die Sache auch. Mit 60 anderen kleinen „Dötzchen“, wie Bochums Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz (SPD) die Kinderschar nannte, spielte sie zum Wochenauftakt frei auf – zu Mozarts Noten, vor prominenten Politikerensemble und großem Presseblock. Die hatten in der Bochumer Jahrhunderthalle gerade erst erfahren, dass nicht die Geschichte der Zauberflöte, sondern ein anderes Märchen – so nannte es jedenfalls der Staatsminister Bernd Neumann – wahr werden würde: Jedem Kind ein Instrument! Noch nicht überall soll dies geschehen, doch schon einmal im Ruhrgebiet, in den nächsten Jahren, bis 2010. Dann ist die Städteregion immerhin europäische Kulturhauptstadt.

Lene hat freilich schon ihr Instrument und den Onkel, der das alles verkündete, kannte sie auch, aus dem Fernsehen. Jürgen Rüttgers (CDU) fühlt sich durch die gelungene Kulturhauptstadtbewerbung animiert eine kulturelle Bildungsoffensive zu starten und das Ruhrgebiet von einer Kohleregion zu einer musikalischen Modellregion zu entwickeln. Zehn Millionen Euro will das Land NRW aus der eigenen Schatulle dazu beitragen, für ein 50 Millionen Projekt. Aus etwa 1.000 Grundschulen kommen die Kinder, ganze 212.000 an der Zahl, die in den nächsten vier Jahren Gelegenheit kriegen sollen – wenn sie denn wollen – neben dem Musikunterricht in der Schule, qualifizierten Instrumentalunterricht zu erhalten. Lene will das und auch ihr Papa weiß, wie wichtig die finanzielle Stütze sein kann, denn die Querflöte seiner Tochter war nicht gerade billig. Deshalb ist Lenes Papa ziemlich froh, dass es ein solches Programm schon seit 2003 in Bochum gibt und die Neunjährige daran teilnehmen durfte.

Nicht nur Spitzenkultur zu fördern war dabei die Philosophie, befand Bochums Erste Frau, Ottilie Scholz, und übersah dabei doch ganz, dass das Kinderorchester Ruhr, unter Leitung von Gottfried Engels, den Mozart gutbürgerlich interpretierte und nicht auf den Plattenteller in Hip-Hop Manier scratchte. Einen anderen Umstand vergaß Scholz nicht: Dass die Initiative ohne die GLS Bank nicht möglich gewesen wäre. Was ausnahmsweise keine versteckte PR war, sondern ein Hinweis darauf, dass die ethisch und ökologisch wie anthroposophisch ausgerichtete Gemeinschaft für Leihen und Schenken (GLS) aus Bochum der eigentliche Initiator der wohltemperierten Angelegenheit ist. Für sie ist „Musik ein wichtiger Motor im Erwerb von sozialer Kompetenz, um Kinder kulturfähig zu machen“, so Herbert Meier von der Zukunftsstiftung der Bank.

Wer in der Jahrhunderthalle nun wem auf die Schultern klopfte, konnte Lenes Papa, der beruflich das Fan-Projekt der Stadt leitet, egal sein. Ihn wird wohl nur Rüttgers Ankündigung stören, dass 2010 die vielen neuen Kinderorchester ausgerechnet in der Arena auf Schalke spielen sollen.