Wolkengucken

Mutbereitschaft üben

Haben Sie auch die schönen Wolken am Himmel gesehen in den letzten Tagen? Ich kam gar nicht drum rum, hochzugucken, selbst wenn ich es eilig gehabt hätte und keinen Blick für solche Dinge. Mein Sohn ist noch nicht vier, er denkt sich nichts dabei, sich einfach auf den Gehweg zu legen, mitten in der Stadt, und sich Wolken oder Bäume von unten anzusehen. Meine Tochter und ich standen da, zuerst etwas peinlich berührt, ich zumindest. Alle Leute rannten um uns herum, auf dem Fußweg der Chauseestraße.

„Hat das Kind etwas, ist es krank?“, fragte jemand. „Es sieht sich nur die Wolken an“, antwortete ich. Manche blieben stehen, folgten dem Blick meines Sohnes nach oben und guckten. „Die Wolke sieht aus wie ein dicker Mann“, sagte jemand. „Das ist ein Kassettenrekorder“, entgegnete mein Sohn. Wir verrenkten uns die Hälse. Sahen auch allerhand, einen Fisch, einen Hexenbesen, eine Prinzessin. Meine Tochter sieht überall Prinzessinnen. Ob er nicht endlich mitkommen könne, fragte ich, mein Genick tue mir schon weh von dem Nach-oben-Geglotze. „Leg dich doch her“, meinte er.

Ich lachte schrill auf. Meine Tochter zögerte keine Sekunde und legte sich hin. Die Abgase rundum! Hundedreck konnte ich allerdings nicht entdecken. „Also gut“, meinte ich und legte mich dazu. Andere Leute gehen zu einer Therapie und üben es, sich zu blamieren. Meine Freundin Hilke zum Beispiel. Soll in einen Bus gehen und etwas total Peinliches sagen wie „Der Sex letzte Nacht war göttlich“, und dann soll sie die Reaktionen der Leute aushalten. Ich werde das jetzt auch aushalten, dachte ich. Es war hart am Boden, und kalt war es auch. „Geht’s Ihnen gut?“, fragte jemand. „Wir sehen uns nur die Wolken an. Legen Sie sich ruhig dazu.“ ANNETTE SCHWARZ