Sanfte Abfuhr für Algeriens Elite

Bei massiv boykottierter Parlamentswahl verfehlt regierende FLN die absolute Mehrheit

MADRID taz ■ In Algerien haben die drei Regierungsparteien die Parlamentswahlen vom Donnerstag klar gewonnen. Sie errangen zusammen 249 der 389 Parlamentssitze, 31 weniger als bisher. Die ehemalige Einheitspartei „Nationale Befreiungsfront“ (FLN) von Ministerpräsident Abdelaziz Belkhadem verfehlt jedoch die absolute Mehrheit: Sie hat 136 Abgeordnete, 63 weniger als vorher. Die FLN-Abspaltung Nationale Demokratische Versammlung (RND) legte um 18 Sitze auf 61 Abgeordnete zu. Die dritte Kraft im Bunde, die gemäßigt-islamistische MSP-Hamas errang 52 Sitze, ein Plus von 14.

Stärkste Oppositionskraft wird erstmals die trotzkistische Arbeiterpartei (PT) von Louisa Hanoun. Sie zieht mit 26 Abgeordneten ins Parlament ein, gefolgt von der radikal-laizistischen Berberpartei „Versammlung für Demokratie und Kultur“ (RCD) mit 19 Abgeordneten.

Die eigentliche Nachricht des Tages ist die hohe Wahlenthaltung. Noch nie sind in Algerien so wenig Menschen wählen gegangen. Nur 35,5 Prozent der knapp 19 Millionen Wahlberechtigten fanden den Weg zur Urne. Das sind 10,5 Prozent weniger als 2002. In der Hauptstadt Algier wählten gar nur 18,4 Prozent. Neben der eigentlich wichtigsten Oppositionspartei „Front der Sozialistischen Kräfte“ (FFS) hatten die bewaffneten Islamisten, die neuerdings unter dem Namen „Al Qaida Maghreb“ operieren, zum Wahlboykott aufgerufen.

Innenminister Yazid Zerhouni versuchte die Menschen mit dem Argument zum Wählen zu überreden, es gehe darum, den Terroristen eine Abfuhr zu erteilen. Es klappte nicht. Die meisten Menschen blieben allerdings nicht etwa aus Angst vor Anschlägen zu Hause oder weil sie den verschiedenen Boykottaufrufen folgten. Grund für die hohe Wahlenthaltung ist vielmehr der Frust über die politische und soziale Stagnation.

Auch dieses Mal sollen die Behörden wieder kräftig in die Urnen gegriffen haben. So forderte der ehemalige Chef des Verfassungsrates und Vorsitzende der unabhängigen Wahlkommission, Said Bouchair, Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika noch am Wahltag auf, gegen den „generellen Betrug“ zugunsten der FLN einzuschreiten.

Unfreiwillig komisch wirkte vor dem Hintergrund der niedrigen Wahlbeteiligung die Pressekonferenz von Innenminister Yazid Zerhouni. Als er nach einer generellen Einschätzung des Wahlablaufs befragt wurde, lobte der enge Vertraute von Staatschef Bouteflika die Algerier für ihre „politische Reife“. „Die Wähler zeigten Verstand“, fügte er hinzu. REINER WANDLER