Land greift nach Giftkrone

NRW ist Spitzenreiter bei den Müllimporten – aus Tradition, sagt das Land. Europa wird entscheiden, ob dieses Jahr so viel australischer Abfall wie noch nie geliefert wird

VON CHRISTIAN WERTHSCHULTE

Mit 16,5 Millionen Tonnen ist Nordrhein-Westfalen deutscher Import-Meister. In kein anderes Bundesland wurde von 1999 bis 2005 mehr Müll importiert als das Zweistromland zwischen Rhein und Weser. Spitzenreiter bei den Müllexporteuren sind die niederländischen Nachbarn mit 1,5 Millionen Tonnen. Und nur 23.700 Tonnen kamen von außerhalb Europas.

Dass sich diese Zahl 2007 verdoppeln könnte, ist die Schuld des australischen Unternehmens Orica, das 22.000 Tonnen mit Hexachlorbenzol (HCB) belastete Reststoffe von Down Under nach Deutschland importieren will. Eigentlich müssten diese Abfälle in der Nähe des Erzeugers entsorgt werden. So steht es zumindest im Baseler Abkommen von 1989, das den internationalen Giftmülltransport regelt. Deshalb müssen die Behörden aus dem Industrieland Australien erklären, dass ihre Verbrennungsanlagen technisch nicht für eine ordnungsgemäße Verbrennung ausgestattet sind. Nach Auskunft des Umweltministeriums steht diese Erklärung jedoch noch aus. „Das Zögern ist natürlich auch eine Aussage“, so Ministeriumssprecherin Sabine Raddatz. Bei der Bezirksregierung in Köln bestätigt man dies. Doch wenn alle Unterlagen ordnungsgemäß vorlägen, müsse man genehmigen.

Notwendig ist dazu auch die detaillierte Schilderung des Transportwegs. Um die 16.000 Meilen in die Müllverbrennung abzuschließen, muss der Müll in Südafrika stoppen, bevor er in Brunsbüttel an Land geht. Dort wird wird der am stärksten belastete Teil der Menge verbrannt, der Rest wird in die Müllverbrennungsanlage von Bayer in Leverkusen transportiert. Hier teilen sich die nordrhein-westfälischen Anlagen in Leverkusen, Dormagen (beide im Besitz von Bayer) sowie die RVR-Anlage in Herten den lukrativen Kuchen Giftmüll.

Das 4.500 Tonnen große Stück wird für Bayer Industry Services rund drei Millionen Euro Umsatz erzeugen, so Unternehmenssprecher Christian Zöller. Bayer sei für diese Aufgaben prädestiniert, schließlich habe man in der Vergangenheit selbst HCB produziert. Die Zahlen bestätigen dies. Laut Umweltministerium stehen ein Drittel aller bundesdeutschen Anlagen, in denen Giftmüll verbrannt werden darf in NRW. Dies sei „historisch gewachsen“ so Ministeriumssprecherin Raddatz.

Eine Altlast der Chemie-Unternehmen ist jedoch auch der hohe Eigenanteil an den verbrannten Abfälle. In der Bayer-Anlage in Dormagen werden jährlich etwa 65.000 Tonnen Müll verbrannt, davon sind drei Viertel Rückstände aus der hauseigenen Produktion. Damit bleiben immerhin knapp 16.000 Tonnen Mülls, die außer Haus produziert werden - zum Beispiel in Australien.

Umweltminister Uhlenberg hat bereits angekündigt, den australischen Mülltransport stoppen zu wollen. Wegen der EU-Bestimmungen seien ihm jedoch die Hände gebunden. Auf dem nächsten Treffen der Landesumweltminister werde er jedoch ein Konzept vorschlagen. Dies findet im Mai statt - sechs Wochen vor Ende der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.