„Ein Spiel mit Identitäten“

Der Karneval der Kulturen tanzt ab heute zum zwölften Mal in Kreuzberg. Durch ihn habe Berlin seine Internationalität entdeckt, sagt Initiator Freudenberg. Er findet, das Fest sei politischer geworden

ANDREAS FREUDENBERG, 56, leitet seit 1994 die Werkstatt der Kulturen, die den Karneval veranstaltet.

INTERVIEW A. LANG-LENDORFF

taz: Herr Freudenberg, auf Ihrem T-Shirt steht „Problemkiezbewohner“. Warum das?

Andreas Freudenberg: Das ist eines von den T-Shirts, die wir zum Karneval der Kulturen gedruckt haben. Auf anderen steht zum Beispiel auch „Multikulti-Schwuchtel“ oder „Erlebnisorientierter Jugendlicher mit Migrationshintergrund“. Wir zitieren Begriffe aus der Migrationsdebatte, wir reißen sie aus dem Kontext und wollen die negativen Zuschreibungen so ironisch wenden.

Also ein Spiel mit politischen Begriffen. Was ist denn am Karneval außer den T- Shirts sonst noch politisch?

Ich denke, er ist in den letzten Jahren eher politischer geworden. Zumindest werden die Gruppen, die ein politisches Anliegen haben und das darstellen, in den letzten Jahren mehr. Der Karneval findet ja nun zum zwölften Mal statt. Von denen, die ihn gegründet haben, wollten viele anfangs gerade nicht, dass es ein politisches Projekt ist, das von irgendeiner Seite vordefiniert wird, weil sie aus sehr unterschiedlichen politischen Richtungen kamen. Der Karneval sollte eine neutrale, offene Plattform sein, auf der sich die Menschen artikulieren können, wie sie wollen. Und viele wollten das früher auf eine kulturell-künstlerische Art und Weise tun.

Aber auch bei diesen Gruppen ging es doch von Anfang an um Integration.

Integration ist ein Begriff, den ich überhaupt nicht mag. Da geraten die Menschen permanent unter den Rechtfertigungsdruck, sich integrieren zu müssen. Dabei leben viele schon lange hier und sind längst integriert. Wenn der Karneval der Kulturen etwas erreichen will, dann zu zeigen, dass alle diese Menschen Teil unserer Gesellschaft sind. Der Karneval lehnt sich auf gegen die Aufteilung in Ausländer, Inländer oder Menschen mit und ohne Migrationshintergrund.

In welcher Form?

Viele Gruppen sind ja schon in der Zusammensetzung gemischt. Zum Beispiel bei einem brasilianischen Projekt: Es sind ja oft gerade nicht Brasilianer, die da die Kostüme tragen und trommeln. Das ist doch das Wichtige an der ganzen Geschichte. Der Karneval ist ein Spiel mit Identitäten. Wie die Sache mit den T-Shirts.

Was hat der Karneval in den letzten zwölf Jahren in der Stadt bewirkt, mal abgesehen vom Umzug und dem Straßenfest?

Es ist eine Karneval-Community entstanden, die bestimmt 8.000 Menschen umfasst. Inzwischen tauchen öfters Jugendliche auf, deren Eltern schon beim Karneval mitgemacht haben. Wir gehen also in die zweite Generation. Es hat sich in dieser Community beispielsweise eine Samba-Szene gebildet, die es vorher so nicht gab. Ich denke auch, dass der Karneval erheblich dazu beigetragen hat, dass Berlin die Internationalität seiner Bevölkerung als positiven Faktor entdeckt hat. Dass also neben dem negativen „hohen Ausländeranteil“, wie das damals immer hieß, das kreative Potenzial der Menschen wahrgenommen wird.

Trotzdem fällt auf, dass die türkisch- und arabischstämmigen Migranten, um die es die größten Diskussionen gibt, auf dem Karneval so nicht vertreten sind.

Sie sind sehr präsent auf den Bühnen des Straßenfestes und im Publikum, allerdings deutlich schwächer beim Umzug. Natürlich ist es für die Kulturen verschieden schwer, sich dem Karneval als Form zu nähern. Es gibt in der türkischen und arabischen Tradition keine vergleichbaren Straßenparaden. Die türkische Musik ist eigentlich Tanzmusik, das lässt sich nicht ohne weiteres auf die Choreografie eines Umzugs übertragen. Dann ist natürlich auch die Frage der erotischen Ausstrahlung anderer Gruppen etwas, was Widerstand wecken kann.

Wie ist denn der Anteil von Menschen nichtdeutscher Herkunft in Ihrem Team?

Wir hatten früher eine Kollegin deutsch-ungarischer Herkunft. Im Moment sind die drei Mitarbeiterinnen, die den Karneval organisieren, original deutsch. Das kann sich bei Neubesetzungen aber wieder ändern.

Sie beschweren sich darüber, dass sie sich von Jahr zu Jahr neu um die Finanzierung des Karnevals bemühen müssen. Warum melden Sie den Zug nicht als Demonstration an? Da würden Sie viel Geld sparen, zum Beispiel die Kosten der Straßenreinigung.

Sicher, die Love Parade hat es ja vorgemacht, und so politisch wie die Love Parade ist der Karneval allemal. Aber wir haben uns schon bei der Gründung dagegen entschieden. Wir wollten ganz bewusst den Karneval als Karneval und nicht als Demonstration. Das mag nur eine Nuance sein, aber uns war das von Anfang an wichtig. Es wird immer zu wenig beachtet, dass gesellschaftliche Veränderungen auch kulturelle Prozesse sind, nicht nur politische. Außerdem ist das Demonstrationsrecht für mich ein kostbares Grundrecht. Und ich habe gar keine Lust darauf, das irgendwie zu verläppern.

Schon heute sagen Einheimische: Wir kennen den Karneval inzwischen, wir gehen nicht mehr hin. Haben Sie Sorge, dass er irgendwann nur noch eine Touristenattraktion ist?

Es wird immer genügend Berliner geben, die den Karneval schätzen. Bis jetzt haben wir den Eindruck, dass der Verlust des einheimischen Publikums nicht so groß ist. Manche machen mal eine Pause – und entdecken den Karneval nach ein paar Jahren wieder neu.