Sinnkrise in Afghanistan und Berlin

Politiker und Bundeswehr fordern Klarheit über Sinn und Dauer des Einsatzes. Während Minister Franz Josef Jung die Mandate verlängern will, kündigt die SPD eine „offene Debatte“ an. Die Soldaten sehen sich von der Öffentlichkeit allein gelassen

AUS KÖLN KATHARINA KOUFEN

Der Verteidigungsminister hält den Kopf gesenkt. Er spricht mit belegter Stimme. „Sie sind gestorben, weil sie sich aktiv auch für unsere Sicherheit eingesetzt haben“, sagt Franz Josef Jung zu den Trauergästen, die in den Bundeswehrhangar am Flughafen Köln-Wahn gekommen sind.

Eine Stunde vorher hat er die Angehörigen der drei toten Soldaten getroffen. Man weiß nicht, wie eine Mutter reagiert, deren Sohn von Sprengstoff zerfetzt wurde, wenn ihr der Verteidigungsminister die Hand drückt und sagt, die Soldaten seien auch für die Freiheit unseres Landes gestorben. Man weiß nicht, ob sie ihn nach dem Sinn einer Mission gefragt hat, die für die Bundeswehr immer riskanter wird. Jung hat selbst drei Kinder, ungefähr im Alter der toten Soldaten.

Die Frage nach dem Sinn beantwortet er mit der Freiheit Afghanistans und „unseres Landes“, dreimal spricht er in seiner kurzen Rede davon. Die Frage nach dem Sinn beanworten die Militärgeistlichen mit dem Hinweis auf Gott. „Gottes Wege enden nicht einfach auf einem afghanischen Markt.“

Die Frage nach dem Sinn stellen auch die Bundestagsabgeordneten, die den Einsatz verantworten. Sie stellen sie immer häufiger und immer lauter. Was für einen Sinn macht ein Einsatz, bei dem keiner genau weiß, wie man die angestrebte „Entmachtung der Taliban“ messen kann? Oder wann die Bedingung dafür erfüllt ist, dass Frauen bessere Chancen auf einen Regierungsposten haben?

Und dann: Von welchem Einsatz ist eigentlich die Rede? Seit bald sechs Jahren beteiligt Deutschland sich an den beiden Afghanistan-Missionen, der UNO-geführten Schutztruppe Isaf und der Terrorbekämpfung „Operation Enduring Freedom“, kurz OEF. Im Rahmen der Isaf hat Deutschland sich vorbehalten, Soldaten nur im Norden des Landes zu stationieren.

Seit einiger Zeit aber wächst der Druck der Bündnispartner, sich auch im gefährlichen Süden engagieren. Im März hat der Bundestag deshalb die Entsendung von sechs Tornado-Aufklärungsflugzeugen gebilligt – in der Hoffnung, damit sei der Bündnispflicht genüge getan. Die deutsche Beteiligung an der OEF-Mission ist eher symbolisch: Die Verbündeten können bis zu 100 Soldaten der KSK-Elitetruppe anfordern. Dies geschah zumindest seit dem Regierungswechsel 2005 jedoch nicht.

Vor allem gegen die OEF-Mission richtet sich die zunehmende Kritik. Die Grünen haben ihrer Verlängerung schon im Herbst vergangenen Jahres nicht mehr zugestimmt. In der SPD kündigt Fraktionsgeschäftsführer Olaf Scholz eine „ehrliche und breite“ Diskussion über alle drei Mandate an. Er selbst sowie Fraktionschef Peter Struck wollen alle drei Mandate – Isaf, Tornado-Einsatz und OEF – verlängern. Damit liegen sie auf der Linie des Verteidigungsministers und der Union. Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen plädierte dagegen für den Ausstieg aus OEF. Die kriegerische Art, in der die Mission unter Leitung der Amerikaner geführt werde, gefährde den zivilen Wiederaufbau. Auch Fraktionsvize Walter Kolbow will über den Sinn von OEF diskutieren, zweifelt aber daran, dass Deutschland im Alleingang aus dem Bündnis aussteigen kann. Andere Sozialdemokraten machen folgende Rechnung auf: Wenn wir OEF auslaufen lassen, werden die Bündnispartner einen umso engagierteren Einsatz bei Isaf verlangen – sprich: Bodentruppen für den Süden.

Auch die Bundeswehr selbst fordert eine klare Perspektive für den Abzug aus Afghanistan. Der Einsatz dauere schon viel zu lange, kritisiert der stellvertretende Vorsitzende des Bundeswehrverbands Ulrich Kirsch. Ein Sprecher der Luftwaffe sagte der taz, bei den Soldaten werde die politische Debatte begrüßt. „Wir brauchen aber auch eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit. Die fehlt bisher. Sonst haben wir das Gefühl, was wir hier machen, interessiert da draußen niemanden.“