Gegen das Recht des Stärkeren

Der russische Zoll befürchtete „internationale Verstimmungen“ und ließ sechs Werke russischer Gegenwartskunst nicht nach Deutschland einreisen. Die Dresdener Ausstellung „Learning From Moscow. Positionen aktueller Kunst aus Moskau“ kontert mit Fotokopien und zeigt, was sonst noch übrig bleibt

VON BERT REBHANDL

Drei ist eine magische Zahl in den Religionen. Das Christentum hat die Dreizahl sogar noch in den Monotheismus eingeführt, mit einem trinitarisch auseinandergefalteten und dabei selbstbezüglichen Gott, der eigentlich so kompliziert angelegt ist, dass mit ihm kein Staat zu machen ist. Die Geschichte hat das Gegenteil bewiesen. Im Namen dieses dreieinigen Gottes wurden viele Kriege geführt, und noch heute wird vielerorts die demokratische Lehre von den drei Gewalten vor dem Hintergrund der Dreifaltigkeit verstanden.

Das Bild „The Candle of My Life“ von den russischen Künstlern „Die blauen Nasen“ besetzt ironisch genau die Grenze, an der ein modernes Gemeinwesen wieder Anker in der Theologie wirft. Der Jesus in der Mitte, der eine Kerze hält, wird von dem Schriftsteller Alexander Puschkin links und dem Präsidenten Wladimir Putin rechts flankiert. Puschkin hält ein Feuerzeug bereit (für den Fall, dass die Kerze ausgeht?), Putin wärmt sich die linke Hand an der Flamme. Der besorgte Blick des Staatsmanns dominiert das Bild. Jesus sieht ein wenig eingezwängt aus, und Puschkin hält den Blick in die Weiten der literarischen und nationalhistorischen Imagination gerichtet.

„The Candle of My Life“ ist nahe an der Karikatur, das mag ein Hauptgrund dafür sein, dass dem Bild kürzlich die Ausreise aus Russland verweigert wurde. In der Ausstellung „Learning from Moscow“ in der Städtischen Galerie in Dresden hängt eine Fotokopie. Noch fünf weitere Bilder, die für die Schau ausgewählt worden waren, blieben in Russland zurück. Beim Zoll gab es offiziell Bedenken, die Kunstwerke könnten „internationale Verstimmungen“ hervorrufen. So ist es dem Publikum im Westen zwar anscheinend zuzumuten, wenn sich der Künstler Vladislav Mamyshev-Monroe im Rahmen seiner Serie „StarZ“ als Marilyn Monroe maskiert, nicht aber, wenn er Ussama Bin Laden, Adolf Hitler oder gar Papst Benedikt XVI. (mit Katze im Arm) darstellt. Der groteske Charakter der Bilder ist evident, und vielleicht ist es den russischen Behörden einfach peinlich, dass unter dem Motto „Learning from Moscow“ so viele Spaßvögel gezeigt werden und wenig vom hehren Erbe einer großen Nation.

Das anstößigste zensierte Bild ist dabei dasjenige, das am wenigsten auf sich aufmerksam macht: Auf einer der „Persischen Miniaturen“ von Aidan Salachova ist eine schwarz verschleierte Frau zu sehen, die mit ihren an Dürer gemahnenden betenden Händen den Turm einer Moschee streichelt. Die offen sexuelle Konnotation dieses Bilds ist allerdings eine Provokation in erster Linie für gläubige Muslime und nicht so sehr für russische Staatsschützer, die schon sehr umsichtig denken müssen, wenn sie mögliche fundamentalistische Aggressionen von Islamisten in Russland verhindern wollen.

Dem Zensurskandal zum Trotz: Das Interesse des Publikums hielt sich in sehr engen Grenzen – am ersten Tag nach der Eröffnung sind die Räume unweit der Frauenkirche leer. Niemand ist gekommen, um zu sehen, wie Alexander Savko ein berühmtes Lenin-Bild mit Homer Simpson in der Hauptrolle nachgemalt hat („Simpson at Bilibin“); niemand interessiert sich für Oleg Kuliks dioramatische Safari durch das „Museum of Nature (New Paradise)“; einsam steht der „Fliegenpilz mit Tatlins Turm“ im Raum, eine Skulptur von Igor Makarevich und Elena Elagina, die das berühmte Monument aus dem Jahr 1919 auf einer elaborierten subversiven „Pilzkult“-Mythologie neu errichtet. Und auch das großartig komische Video „25 Performances über die Globalisierung“, in dem die Blauen Nasen die neuere Geopolitik zum Furz der Weltgeschichte entstellen, läuft als Loop ins Leere.

Die „internationalen Verstimmungen“ sind schon deswegen nicht zu befürchten, weil Dresden als Kunstmetropole ganz andere Schwerpunkte hat als eine kleine Schau mit überwiegend schon gut bekannten russischen Provokateuren. Die Zensurmaßnahme der Zollbehörden gehört wohl eher in einen nationalen Kontext. Denn der russische Staat bekämpft die Kunst eher nach innen, wie in Michael Ryklins Buch „Mit dem Recht des Stärkeren. Russische Kultur im Zeitalter der ‚gelenkten Demokratie‘“ (2006) nachzulesen ist. Minutiös rekonstruiert Ryklin einen Prozess, in den auch seine Ehefrau verwickelt war: 2003 war im Moskauer Sacharow-Zentrum die Ausstellung „Achtung, Religion!“ verwüstet worden. Vor Gericht kamen allerdings nicht die religiös motivierten Vandalen, sondern die Künstler wegen „Schürens nationalen und religiösen Zwistes“. Der Fall kommt demnächst vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Das Sacharow-Zentrum reagierte auf die repressive Stimmung kürzlich mit einer Ausstellung, die Bilder zeigte, die in anderen Ausstellungen aus Gründen politischer oder religiöser Natur auf Protest gestoßen waren und entfernt werden mussten. Die Ausstellung „Learning from Moscow“ in Dresden dokumentiert diesen Kleinkrieg um die Freiheit der künstlerischen Äußerung mit einem Akzent auf Positionen, die vielfach einer Logik der subversiven Überbietung alter sowjetischer Propagandamuster folgen: Gegen das Recht des Stärkeren helfen eben vorerst nur starke Zeichen.

„Learning from Moscow. Positionen aktueller Kunst aus Moskau“. Städtische Galerie Dresden bis 2. September. Katalog Nicolai Verlag, 15 €