Tanz den Spasti

„Import/Export“ von Koen Augustijnen und Les Ballets C. de la B. im HAU 1

Das Geräusch aus der Dunkelheit ist uneindeutig. Dieses rhythmische Stampfen könnte von einer Horde Tiere stammen, aber genauso von einer kleinen Armee. Selbst wenn das Licht angeht, nach 90 Minuten Vorstellung, ist die Sache im Grunde nicht klar: Waren das Menschen oder wilde Tiere, oder ist der Unterschied hinfällig, sobald mehr als drei einer Art zusammenkommen?

Gruppenbildung, Hierarchie und Ausgrenzung ist das in Variationen präsentierte Grundthema von „Import/Export“. Die Arbeit des Belgiers Koen Augustijnen, als Tänzer und Choreograf seit 15 Jahren fest mit Les Ballets C. de la B. verbunden, unternimmt den schwierigen Versuch, Behinderungen zu tanzen. Krücken, Lähmungen, nervöse Zuckungen, Spastiker sind auf der Bühne zu sehen. Vor naheliegender Peinlichkeit und Zynismus angesichts der wohltrainierten Tänzerkörper bewahrt deren glänzende Leistung. Tatsächlich sieht man Bilder schmerzhafter Schönheit und selbstvergessenen Bewegungsglücks, das nur unter dem Blick der anderen zusammenbricht. Während die vermeintlich unkontrollierbaren Glieder im Solo die Anmut Kleist’scher Marionetten besitzen, werden sie im Ensemble zur kaputten Puppe degradiert. Da wird der ausgegrenzte Körper zum menschlichen Schwenkeltau oder gerne auch Kopf voran gegen die Wand geknallt.

Kontrastiert wird die Brutalität durch die Ruhe französischer Barockmusik, live eingespielt vom Kirke Streichquartett und gesungen vom Countertenor Steve Dugardin, der sich unter die sechs Tänzer mischt. Wunderbar ist das und gleichzeitig sehr bekannt, wie viele Elemente des Abends: Auch die Mischung aus Tanz, Theater und Akrobatik, die ungeheure physische Energie sind längst eine Art Trademark von Les Ballets C. de la B. An die Meisterschaft ihres richtungsweisenden Gründers Alain Platel reicht Augustijnens „Import/Export“ nicht, doch hat die Choreografie viele starke Momente. Etwa wenn die schwarze Tänzerin Lazara Rosell Albear nach einer Vergewaltigung das Stück rückwärts taumelnd mit den Worten „ça va“ beendet. Und man ihr kein Wort glaubt.

CHRISTIANE KÜHL

Heute, 19.30 Uhr, HAU 1, Stresemannstr. 29