piwik no script img

Hamburg im Wahlkrieg

Beim „Spiegel“ wird seit dieser Woche über die neue Führung der Mitarbeiter KG abgestimmt. Fünf Fragen und Antworten zu der Wahl, die über die künftige Richtung des Magazins entscheidet

1. Mitarbeiter KG – was ist das überhaupt?

Die Mitarbeiter KG gibt es seit 1974. Damals schenkte Spiegel-Gründer Rudolf Augstein den Redakteuren, Dokumentationsjournalisten und Verlagsangestellten exakt die Hälfte des Unternehmens – um die Unabhängigkeit des Magazins zu wahren und die Mitarbeiter durch die Gewinnbeteiligung an das Haus zu binden. Seit dem Tod Augsteins 2002 verfügt die Mitarbeiter KG mit 50,5 Prozent sogar über die absolute Mehrheit der Anteile. In seinem Testament verfügte Augstein, dass seine Erbengemeinschaft nicht über eine Sperrminorität gebieten dürfe, und verschob ein Prozent seiner Anteile zugunsten der Mitarbeiter KG und des Verlags Gruner + Jahr, der nun über 25,5 Prozent verfügt. Gegenüber der Erbengemeinschaft, die auf 24 Prozent kommt, sind Mitarbeiter KG und Gruner + Jahr seitdem in der komfortablen Lage, sie jederzeit überstimmen zu können.

2. Die Mitarbeiter KG hat also ziemlich viel Macht. Hat sie die auch schon mal genutzt?

Oh ja. Als Chefredakteur Stefan Aust 2005 die Verlängerung seines Vertrags anstrebte, grätschte ihm die Mitarbeiter KG dazwischen: Statt fünf wurden ihm nur drei weitere Jahre an der Spitze gewährt, allerdings mit Option auf zwei weitere.

Außerdem betrieb die Mitarbeiter KG die Ablösung des langjährigen Geschäftsführers Karl Dietrich Seikel durch den Gruner + Jahr-Mann Mario Frank – sehr zum Missfallen von Aust, der Seikel sehr schätzte.

3. Aust und die Mitarbeiter KG stehen also auf Kriegsfuß?

„Wir sind nicht im Krieg, wir sind im Wahlkampf“, hat Aust unlängst im Tagesspiegel gesagt. Tatsächlich steht er bei dieser Wahl nur mittelbar unter Beschuss: Mit dem bisherigen Sprecher der Mitarbeiter KG Thomas Darnstädt (57) tritt zwar erneut sein wohl wichtigster Gegenspieler im Verlag an. Gleichzeitig fungiert der ehemalige Spanien-Korrespondent als eine Art Ventil für Frust über Aust – solange Darnstädt bellt, beißt er nicht.

Dennoch tritt mit Gabor Steingart (44) ein Stellverteter Austs im Geiste gegen Darnstädt an. Der Chef des Berliner Spiegel-Büros hat sich auf einer Wahlveranstaltung vor Korrespondenten bereits gegen den neuen Geschäftsführer Frank in Stellung gebracht – und die Mitarbeiter soll er mit überemphatischen Auftritten ebenfalls eher abgeschreckt haben.

Nicht wenige sehen in Steingarts Kandidatur auch einen Stimmungstest, wie sein möglicher Aufstieg in die Chefredaktion – erst als Stellvertreter, dann als vollständiger Aust-Erbe – ankommen könnte. Für genauso viele ein Worst-Case-Szenario: Steingart gilt Kritikern als Galionsfigur der neoliberalen Strömung im Spiegel. Überdeutlich machte er sich für die Abwahl von Rot-Grün stark. Als es dann doch nicht für Schwarz-Gelb reichte, frohlockten viele, dass auch Steingart damit verhindert worden sei. Sein kämpferischer Einsatz bei dieser Wahl zeigt aber, dass nur die anderen ihn für abgeschrieben halten.

4. Läuft also alles auf Darnstädt hinaus?

Nein, die Sache ist komplizierter. Nicht nur gibt es zwei KG-Geschäftsführerposten, die bei dieser Wahl neu besetzt werden sollen, es gibt auch noch drei Kandidaten, die sich neben Darnstädt und Steingart bewerben: Armin Mahler (52), Leiter des Wirtschaftsressorts; Marianne Wellershof (43), Chefin des Supplements Kulturspiegel; und Manfred Ertel (56), ehemaliger Betriebsrat und Außenpolitik-Redakteur. Gute Chancen werden dabei vor allem Mahler und Wellershof zugerechnet. Ergebnisse gibt es aber erst ab dem 20. März, wenn die Abstimmung endet.

5. Personaldebatten, schön und gut: Worum geht es eigentlich inhaltlich?

Vor allem um die unternehmensstrategische, nicht die politische Ausrichtung der Spiegel-Gruppe. Wirtschaftlich sieht es zwar gut aus, doch die Auflage des Haupthefts bröckelt – und ein Masterplan, wie gegengesteuert werden kann, fehlt. Geschäftsführer Frank gab zwar bei seinem Einstand zu verstehen, dass er mit Auflagenverlusten kein Problem habe, solange Ableger-Produkte sie ausgleichen könnten – doch das ist ein Horrorszenario für Stefan Aust, der sogenannte line extensions immer aus Angst vor Kannibalisierungseffekten für das Mutterheft ablehnte. Ihm dürfte es deshalb nicht ungelegen gekommen sein, dass Frank jüngst in einer Art Befreiungsschlag das Kulturmagazin-Projekt Momo absägte. Ob ein von Hajo Schumacher (Ex-Max) konzipiertes Männermagazin dasselbe Schicksal ereilt, ist noch unklar. Genauso in der Schwebe: die Koordination von Heft und Online-Ausgabe. Sie dürfte aber noch mehr als mögliche Print-Ableger über die Zukunft der Spiegel-Gruppe entscheiden. HPI

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen