„Bsirske legt sich völlig falsch fest“

Die „energiepolitischen Einlassungen“ des Vorsitzenden erregen Befremden

BERLIN taz ■ „Wir wollen keine Türen zuknallen, aber“ – in der Gewerkschaft selbst hat die neue Positionierung von Ver.di in der Klimapolitik Befremden und Unmut ausgelöst hat. „Die Argumentation ist nicht nur falsch, sie ist auch gefährlich“, schreiben Ver.di-Mitglieder aus Umwelt- und entwicklungspolitischen Verbänden in einem Protestbrief an den Vorsitzenden Frank Bsirske. Auch die Gruppe Gewerkschaftsgrün, in der sich grüne und der Partei nahestehende Gewerkschafter zusammengefunden haben, zeigte sich „sehr erstaunt“ über die „energiepolitischen Einlassungen“. Geantwortet hat Bsirske bislang auf keinen der Briefe. Die Schreiber wollen aber weiter auf eine Auseinandersetzung dringen.

„Aus den Arbeitsebenen des DGB und der Gewerkschaften gab es viel Zustimmung“, sagt Peter Fuchs, Mitarbeiter der entwicklungspolitischen Organisation Weed. „Bsirske legt sich völlig falsch fest.“ Andreas Braun, Sprecher von Gewerkschaftsgrün, wundert sich: „Es passt überhaupt nicht in die klimapolitische Landschaft“, sagt er. Und vor allem widerspreche es dem „festgeschriebenen Kurs von Ver.di“. Der laute: die Potenziale und Chancen der Erneuerbaren Energie nutzen und die Kompetenzen der Beschäftigten in den fossilen Energien entsprechend umlenken.

Das entspräche auch den übergreifenden Beschlüssen der Gewerkschaften. Der Europäische Gewerkschaftsbund fordert feste Treibhausgas-Reduktionsziele für die Zeit nach 2012. Der Ausstoß von CO2 soll bis 2020 um ein und bis 2050 um drei Viertel verringert werden. Das liegt nicht weit unter den Vorstellungen von Klimawissenschaftlern, die ein Minus von 30 bzw. 80 Prozent für nötig halten.

Solche Ziele sind allerdings illusorisch, wenn die Gewerkschaften selbst nun konkrete Maßnahmen torpedieren. Was also treibt Bsirske? Die vorgeschobene Erklärung sind „die Arbeitsplätze“. Gesamtwirtschaftlich betrachtet ist das allerdings Unfug. Netto sorgt die Erneuerbare Energie sogar für ein Mehr an Beschäftigung.

Tatsächlich hat Bsirske wohl ganz andere Probleme. Der Gewerkschaftschef bekommt Druck von allen Seiten. Da ist zum einen der Verband kommunaler Unternehmen (VKU), deren Beschäftigte Ver.di vertritt. Waren die Interessen des VKU früher auch immer öffentliche Interessen, bei denen es um so etwas wie Versorgungssicherheit ging, ist das heute anders: Viele Stadtwerke befinden sich längst im Besitz der großen Energiekonzerne, dienen also deren Gewinninteressen. Nur so ist auch zu erklären, dass der gestrige Protest sich auch gegen den „Zwangsverkauf der Netze“ richtete, den die EU-Kommission fordert. Diese Netze gehören nicht den Stadtwerken, sondern den früheren Monopolisten.

Das zweite, vielleicht größere Problem ist das intergewerkschaftliche Gerangel um Macht und Mitglieder. Die Beschäftigten der Energiewirtschaft verteilen sich auf drei Gewerkschaften: die IG BCE, die IG Metall und Ver.di. „Bsirske versucht offensichtlich, die IG BCE zu überholen, indem er Ver.di deren Positionen anpasst“, sagt Gewerkschaftsgrün-Sprecher Braun. Das sei allerdings fatal: „So verliert Ver.di komplett seine Linie.“

Fuchs und seine Mitunterzeichner sehen noch ein ganz anderes Problem: Gerade erst haben sich Gewerkschaften und Umweltbewegung zusammengerauft und – etwa bei Attac – auch gemeinsame Aktionen vorgenommen. „Heute ist ein breites Bündnis progressiver gesellschaftlicher Kräfte wichtiger denn je, wenn wir dem vorherrschenden Diskurs etwas entgegensetzen wollen, der ausschließlich auf kurzfristige Kostenminimierung setzt.“ Hierfür sei Bsirskes derzeitige Strategie „verheerend“. BEATE WILLMS