Kann Tourismus die Welt verbessern?
JA

REISEN Am Mittwoch beginnt die Internationale Tourismus-Börse in Berlin. Immer wieder wird der Branche vorgeworfen, dass sie Schaden anrichtet. Dabei hoffen Tunesien und Ägypten gerade jetzt auf das Urlaubsgeschäft

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taz.de/sonntazstreit

Martina Kohl, 42, WWF-Expertin für nachhaltigen Tourismus

Alles spricht eigentlich dagegen. Fernflüge verursachen einen erheblichen Anteil der klimaschädlichen Emissionen. Im Reiseland angekommen, hat das Geschäft mit der massenhaften Sehnsucht nach intakter Natur zu möglichst niedrigem Preis längst irreparable Schäden angerichtet. Kann Tourismus dennoch die Welt verbessern? Natürlich kann er das. Kein anderer Wirtschaftszweig hat dieses unglaubliche Potential dazu. Die Natur und Landschaften des eigenen Landes und fremder Länder weltweit in ein attraktives Produkt zu verwandeln, sie in Wert setzen: im Indischen Ozean baden, in der Karibik segeln, landestypische Küche entdecken, fremde Menschen treffen, fremde Kulturen kennen lernen, die Jahrtausende älter sind als unsere eigene, Wildtiere bestaunen, die wir nur aus Büchern oder dem Zoo kennen. In Regionen reisen zu können, deren Einwohner im Tourismus eine Arbeit finden und die Möglichkeit, ihre Familie auf legale Weise zu ernähren. Hotels wählen zu können, die verantwortlich mit knappen Ressourcen umgehen und die kostbaren Ökosysteme respektieren. Die Tourismuswirtschaft kann Einfluss nehmen, auf die Geschicke eines Landes und auf die Auswahl ihrer Produkte. Dadurch kann sehr wohl die Welt verbessert werden.

Günter Meyer, 64, forscht und lehrt zur arabischen Welt an der Uni Mainz

Nur durch den Tourismus können sich Ägypten und Tunesien wirtschaftlich stabilisieren und die Demokratisierungsprozesse in diesen Ländern vorangetrieben werden. Der Tourismus stellt in diesen Ländern eine der wichtigsten Einnahmequellen dar. So hängen allein in Ägypten etwa 2,5 Millionen Menschen direkt vom Tourismus ab. Hinzu kommen noch einmal mindestens doppelt so viele Menschen, die indirekt ihr Geld im Tourismusbereich verdienen. Das sind zum Beispiel Handwerker, die in Zehntausenden von Kleinbetrieben Souvenirs herstellen, oder Menschen, die im Transport- und Dienstleistungsbereich tätig sind. Wenn man davon ausgeht, dass an jedem dieser Arbeitsplätze vier bis fünf Familienangehörige hängen, kann man also durchaus sagen, dass allein in Ägypten die wirtschaftliche Existenz von 20 bis 25 Millionen Menschen vom Tourismus abhängt. Bei einer Gesamtbevölkerung von rund 80 Millionen ist das fast ein Drittel. Der Tourismus ist die einzige Möglichkeit, diese Menschen dauerhaft wirtschaftlich abzusichern. Gerade deshalb ist es notwendig, dass möglichst bald die Touristen wieder nach Ägypten und Tunesien reisen. Denn so können sie zumindest die Lebenswelt derjenigen verbessern, die dort vom Tourismus finanziell abhängen.

Peter Mario Kubsch, 54, Chef des Studienreisen-Veranstalters Studiosus

Tourismus kann die Welt verbessern, aber nur wenn alle Reisenden und im Tourismus Tätigen ihrer Verantwortung gerecht werden. Urlauber sollten sich beispielsweise über die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Gastland sowie grundlegende Sitten und Gebräuche informieren. Reiseveranstalter müssen ihre Programme so gestalten, dass sie von sozialer Verantwortung geprägt und ökologisch vertretbar sind. Eine aktive Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen, Umweltzerstörung sowie die Duldung von Kinderprostitution und Zwangsarbeit müssen beispielsweise zur sofortigen Beendigung der Geschäftsbeziehung führen. Und das gehört vertraglich geregelt. Zur Verantwortung eines Reiseveranstalters gehört es aber auch, Austausch zu ermöglichen. Die Programme sollen viele Begegnungen mit Land und Leuten vorsehen, und Reiseleiter gehören geschult, damit sie den interkulturellen Dialog gestalten können. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass die einheimische Bevölkerung vom Tourismus profitiert. Schlussendlich ist auch die Politik in der Pflicht. Sie muss die Rahmenbedingungen schaffen und die Einhaltung der Spielregeln gewährleisten.

NEIN

Halo Saibold, 67, Gründungsmitglied der Grünen, trat 1998 aus der Partei aus

Die Art des heute vorwiegend betriebenen Tourismus kann es sicher nicht. Es geht dabei nur um den eigenen Luxus, das eigene Vergnügen – und dies meist zu billigsten Preisen. Das Land dient als Kulisse hinter den Event-Arenen der Hotelanlagen, in denen Einheimische höchstens als Personal akzeptiert werden. Kontakt mit der Bevölkerung ist meist unerwünscht und das Geld fließt größtenteils an ihr vorbei. Ausbeutung und Umweltzerstörung werden nicht bedacht. Ich habe noch die Aussage eines Flugkapitäns bei einer Touristikflotte in den Ohren: „Ich fliege seit zwanzig Jahren Touristen in die verschiedensten Urlaubsregionen – aber ich habe noch nirgends Verbesserungen feststellen können, im Gegenteil!“ Nur wenn sich ein ökologisch- und sozialverantwortlicher Tourismus durchsetzt, die Kultur des Reisens wieder entdeckt und/oder auch die Nähe als Erlebniswert eingestuft wird, besteht partiell die Möglichkeit zur „Weltverbesserung“.

Sönke C. Weiss, 43, freier Autor und Regisseur, hat auf taz.de kommentiert

Auf Sri Lanka habe ich 2004 Touristen am Strand in der Sonne liegen sehen, als wenige Kilometer von ihnen noch Leichen angeschwemmt wurden. In Kenia, Anfang 2008, warteten in Nairobi ungeduldige Touristen auf ihre Weiterflüge ans Meer, als sich im Zuge der Wahlen die Volksgruppen umbrachten. In Uganda bin ich Touristen begegnet, die auf Safari gingen, obwohl im Norden des Landes die Widerstandsarmee des Herrn Kinder zu Mordwerkzeugen machte. Um nur drei Beispiele zu nennen. Man muss sich fragen, wer bekommt das Geld aus dem Tourismus? Es sind die Hotels, die meist in ausländischer Hand sind. Die Regierungen, die Steuereinnahmen aus dem Tourismus in die Tasche wirtschaften. Die Menschen aber, nein, sie erhalten einen Hungerlohn, für den in Deutschland kein Schüler einen Finger rühren würde.

Dirk Behrendt, 39, ist Jurist und sitzt für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus

Besuch aus aller Welt ist eine Bereicherung auch für Berlin – und nicht zuletzt ein Kompliment. Also Touristen: Kommt gern, unsere Stadt hat viel zu bieten. Lasst uns dabei nur nicht vergessen, dass hier auch Menschen leben. Denn Massentourismus führt zur Ballermannisierung der Welt. Wenn überall die gleichen Shopping-Center, China-Imbisse und Starbucks-Filialen sind, sägt der Tourismus an dem Ast, auf dem er sitzt. Und auf diese Weise kann er die Welt keineswegs verbessern, ganz im Gegenteil. Wenn bald die ganze Berliner Innenstadt aussieht wie die Oranienburger Straße, mag auch kein Tourist mehr kommen. Daher muss Tourismus Thema der Stadtentwicklung werden. Keine weiteren Massen-Hostels und -Hotels in Wohngebieten. Ein anderes Problem: Ferienwohnungen in Mietshäusern, die Immobilienhaie teuer an Touristen vermieten. Bei den Preisen können die Nachbarn nicht mithalten. Sie werden aus ihrem Umfeld verdrängt.

Terry Johnson, 36, aus Nürnberg, hat seinen Beitrag auf taz.de gepostet

Das Geld der Menschen mit Reisemöglichkeit verbessert das Leben einiger Leute in den Touristenregionen. Aber ist das Geld, das zum Reisen übrig bleibt, nicht indirekt ein Überschuss aus billigem Essen und billiger Kleidung und diese wiederum ein Produkt billiger Löhne in genau diesen Ländern? Nahrungsmittel werden seit den Sechzigerjahren in den Industrieländern billiger. Ähnlich verhält es sich bei Kleidung. Möglich ist dies nur durch den Preisdruck der Industrie bei den Zulieferern, was wiederum zu Billiglöhnen führt. Das gesparte Geld wird dann für Reisen verwendet.