Menschenunwürdige Umstände

41 Tage lang nur durch einen Bretterverschlag von der Toilette getrennt: Nun sprach das Landgericht Osnabrück einem früheren Untersuchungshäftling 1.200 Euro Schmerzensgeld zu. Nicht der erste derartige Fall in Niedersachsen

von KAI SCHÖNEBERG

Erneut ist das Land Niedersachsen wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen verurteilt worden: Die 5. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück sprach gestern einem 51-jährigen ehemaligen Untersuchungshäftling eine Entschädigung in Höhe von 1.200 Euro zu. Hans-Jürgen W. hatte zwischen Februar 2002 und Januar 2003 insgesamt 41 Tage in Zellen im Osnabrücker Gefängnis verbracht, in denen die Toilette nur durch einen Bretterverschlag abgetrennt war. Die im Juristendeutsch „Schamsichtschutz“ genannte Abort-Begrenzung war nur brusthoch, eine eigene Entlüftung gab es nicht. „Einmal war es eine neun Quadratmeter große Zelle mit einem Mithäftling, dann ein 18 Quadratmeter großes Zimmer mit insgesamt fünf Insassen“, sagt W.s Anwalt Frank Mähs.

„Mensch, ich leb’ doch in Deutschland, in einem Rechtsstaat“, erklärt der siegreiche Ex-Häftling W. die Motivation seiner Klage. Das Urteil empfindet er als „kleine Genugtuung“. Der wegen versuchter Steuerhinterziehung Verurteilte hofft, „dass jetzt auch andere Häftlinge etwas unternehmen, damit die Haftbedingungen in den Gefängnissen in Zukunft besser werden“.

Seine Leidensgenossen haben sogar bereits etwas gegen die Situation in den niedersächsischen Knästen unternommen. Im Januar 2006 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass ein weiterer Häftling zwar im Juli 2002 menschenunwürdig in der JVA in Hannover untergebracht war. Schmerzensgeld bekam der Mann, der über mehrere Instanzen geklagt hatte, dennoch nicht: Die Unterbringung in einer mit fünf Häftlingen vollgestopften 16-Quadratmeter-Zelle, in der die Toilette ebenfalls nur durch einen Vorhang abgetrennt war, sei zwar menschenunwürdig gewesen, urteilten die Richter.

Allerdings sei die Dauer der Unterbringung mit zwei Tagen zu kurz für ein Schmerzensgeld. Der klagende Häftling habe ja bereits dadurch „einen hinreichenden Ausgleich und eine zureichende Genugtuung“ erhalten, dass mehrere Gerichte die Rechtswidrigkeit seiner Haftunterbringung und eine Verletzung seiner Menschenwürde festgestellt hatten. Anwalt Axel Feller reicht das nicht: Seine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wurde inzwischen zugelassen, ein Verhandlungstermin steht noch aus.

Ob das Land Niedersachsen gegen das gestrige Urteil Rechtsmittel einlegt, ist noch nicht klar. Die Umstände der U-Haft müssen für W. jedoch besonders erniedrigend gewesen sein. Rechtmäßig hätte ihm eine Einzelzelle zugestanden. Allerdings waren in dem Gefängnis, das damals für 77 Häftlinge ausgelegt war, bis zu 101 Gefangene untergebracht. Wegen Umbaumaßnahmen waren die Häftlinge zudem mit Ausnahme eines einstündigen Hofgangs praktisch den ganzen Tag in die Zellen gepfercht. Zudem gab es in W.s Räumlichkeiten weder Be- noch Entlüftung: „Im Sommer war es kochend heiß, im Winter viel zu kalt“, sagt W., der über die Bedingungen minutiös Tagebuch führte.

Von einer „zwar ärgerlichen, aber auch verdienten Konsequenz für ein fahrlässiges Behördenversagen“ sprach gestern der Grüne Ralf Briese. Das Urteil sei „Konsequenz einer Politik, der einzig und allein als wirksame Sanktion immer nur Inhaftierung einfällt“. Dass sich die Zustände in den 14 niedersächsischen Knästen bereits gebessert hätten, erzählt dagegen der Sprecher des Justizministeriums, Dennis Weilmann. Das Land habe viel Geld für die derzeit 6.800 Häftlinge investiert. Auch in Osnabrück verfüge heute jeder Haftraum über eine eigene Toilette mit entsprechender Belüftung. Das neue Gefängnis in Sehnde bei Hannover habe 103,5 Millionen Euro gekostet: „Wenn Ende des Jahres die neue JVA in Rosdorf bei Göttingen eröffnet wird, gibt es keine Überbelegung mehr“, sagt Weilmann.

Dennoch sieht das derzeit diskutierte neue Strafvollzugsgesetz grundsätzlich die Möglichkeit vor, Zellen weiter mit mehreren Häftlingen zu belegen. Dies, sagt der Grüne Briese, könne dazu führen, dass „dem Land weitere Entschädigungszahlungen drohen“.