Knast fürs Blaumachen

In Sachsen muss eine 16-jährige Schulschwänzerin für zwei Wochen in Arrest. CDU-Kultusminister Steffen Flath sagt: „Der Rechtsstaat muss Grenzen zeigen.“ Massive Kritik kommt von Lehrern, der Bildungsgewerkschaft und den Grünen

AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH

Richter Andreas Pech vom Amtsgericht Görlitz wusste sich keinen Rat mehr. Wie erst jetzt durch einen lokalen Rundfunksender bekannt wurde, verurteilte er bereits im Dezember eine Schülerin aus Görlitz zu zwei Wochen Jugendarrest. Die 16-Jährige war dem Unterricht wiederholt länger als fünf Tage ferngeblieben. Die Leitung ihrer Mittelschule hatte zuvor offenbar resigniert und beim Ordnungsamt Anzeige wegen Verstoßes gegen die Schulpflicht erstattet.

Das Amt verhängte zunächst ein Bußgeld. Die Eltern der Jugendlichen verweigerten jedoch die Zahlung. Die stattdessen angebotenen 37 Stunden gemeinnütziger Arbeit verweigerte wiederum die Schülerin. Der Richter griff daraufhin zum letzten Mittel, das ihm die Gesetze bieten.

„Ob ein Arrest das richtige Mittel ist, kann man so oder so sehen“, räumte er gegenüber der taz ein. Er habe aber alle vorhergehenden Möglichkeiten ausgeschöpft. Offenbar hätten die Eltern keinerlei Einfluss mehr auf die Jugendliche. Es gehe nun darum, sie zur Ordnung anzuhalten und zu disziplinieren. „Es kann doch nicht jeder machen, was er will“, so Pech. Der Richter bestätigte auch, dass er 2006 bereits zwei männliche Schüler wegen Schulverweigerung zu je einer Woche Arrest verurteilt habe.

Die Görlitzer Schülerin muss ihre Strafe voraussichtlich am 7. Mai in einem für Jugendliche reservierten Teil des Bautzener Gefängnisses antreten. Der Termin liegt mitten in der Schulzeit. Im Jahr 2005 waren nach Angaben des sächsischen Kultusministeriums 6.016 Verfahren wegen Schulschwänzens erfasst. Die Zahl bleibe seit Jahren in etwa konstant, die Dunkelziffer sei aber hoch. Eine Studie der TU Dresden hatte Anfang 2006 ermittelt, dass weniger als ein Prozent der Schüler in Sachsen länger als 12 Tage im Schuljahr unentschuldigt fehlten. Bundesweite Vergleichszahlen liegen nicht vor. Die Studie bestätigte aber auch die Erfahrung, dass ordnungsrechtliches Vorgehen in den meisten Fällen erfolglos bleibt.

In diese Richtung zielt auch die massive Kritik, die an dem Urteil in Sachsen laut wurde. „Ich frage mich, was die Schülerin im Gefängnis lernen soll“, lehnt die grüne Schulpolitikerin Astrid Günther-Schmidt das Vorgehen als unangemessen ab. „Der Knast macht gewiss nicht mehr Lust auf Schule“, sagte die stellvertretende GEW-Landesvorsitzende Ursula Kruse der taz. Man müsse fragen, wem die Maßnahme diene, der Durchsetzung der Schulpflicht oder der Entwicklung der Schülerin. Die Lehrerverbandsvorsitzende Ingrid Schwaar kritisierte die „absolut unpädagogische Maßnahme“ und verwies auf Schulsozialarbeit und spezielle Verweigererprojekte. In 12 derartigen Projekten waren im Vorjahr 150 Schüler einbezogen, auch die verurteilte Schülerin. Kultusminister Steffen Flath (CDU) äußerte gegenüber der taz Verständnis für die Richterentscheidung: „Der Rechtsstaat muss Grenzen zeigen.“ Dieses Vorgehen solle aber nicht generelle Praxis werden. Zudem gebe es Anzeichen für ein Einlenken der Eltern.