Das Spreeufer bleibt luftschlossfrei

KREUZBERG Bei der Präsentation erster Ideen für das Spreeufer bleiben die Engagierten unter sich. Entwürfe überraschen kaum

Der Bürgerwille: Beim Bürgerentscheid 2008 hatte sich die große Mehrheit dafür ausgesprochen, dass Neubauten an der Spree mindestens 50 Meter vom Ufer entfernt sein müssten. Das Bezirksamt hat mittlerweile einen Kompromiss verabschiedet, nach dem 30 Meter unbebaut bleiben sollen.

Der Aufruf: Im November 2010 hat der Initiativkreis Mediaspree versenken! einen Ideenaufruf zur Gestaltung des Kreuzberger Ufers gestartet. Mitmachen kann jeder.

Die Planung: Die Entwürfe sind völlig unverbindlich. Das Bezirksamt hat aber zugesagt, mit der Erstellung des Bebauungsplans das Ende des Wettbewerbs am 1. Mai abzuwarten.

Der derzeitige Stand: Alle bisher eingegangenen Entwürfe sind im Internet unter www.ms-versenken.org und in der Markthalle in der Eisenbahnstraße 42/43 ausgestellt.

VON JULIANE WIEDEMEIER

Wenn man nicht so mit Frieren beschäftigt wäre, könnte man fast ein wenig nostalgisch werden: eine Leinwand, wie man sie das letzte Mal zu Zeiten gesehen hat, als es noch Diaabende gab, ein brockhausdickes Notebook aus den späten 90ern, ein Infotisch, an dem bedruckte Jutebeutel verkauft werden. Nur der eisige Hauch, der bei jedem Öffnen der Türen über den kleinen Stand am Rande der Kreuzberger Markthalle rauscht, lässt nicht so recht die Gemütlichkeit aufkommen, die einen sonst beim Anblick so vertrauter Dinge umfängt.

Doch an diesem Samstag geht es um die Gestaltung der Zukunft, da kann ein bisschen frischer Wind nicht schaden. Der Initiativkreis Mediaspree versenken! hat eingeladen, die ersten zehn Entwürfe zur Bebauung des Kreuzberger Spreeufers zu bewundern, die seit dem Ideenaufruf im November eingegangen sind. Architekten, Studenten, aber auch Privatleute haben sich Gedanken gemacht, wie man die nördliche Lohmühleninsel, das Behala-Viktoriaspeicher-Areal sowie das Gelände der Umzugfirma Zapf in Zukunft nutzen könnte.

„Zapf plant gerade den eigenen Umzug und macht sich aktuell bereits Gedanken über die Nachnutzung“, sagt Carsten Joost von der Initiative. „Damit unsere Ideen dabei berücksichtigt werden, zeigen wir heute schon die ersten Entwürfe, obwohl der Einsendeschluss erst am 1. Mai ist.“

Joost sitzt mit dem Rücken zu den knapp 50 Zuschauern, die auf den wackeligen blauen Plastikstühlen Platz genommen haben. Hinter ihnen kleben die ausgedruckten Entwürfe an einer Bretterwand, vor ihnen auf der Leinwand scrollt Joost durch ein PDF-Dokument.

Er präsentiert das Konzept, das das Architekturbüro Graft im Auftrag von Zapf angefertigt hat: vier L-förmige Gebäude, von denen drei mit ihren längeren Seiten als Blockrandbebauung an die zwei das Grundstück begrenzenden Straßen anschließen. Zwischen den Häusern ist Grünfläche, am Ufer gibt es einen schmalen Wanderweg. „Diese Variante zeigt die intensivste mögliche Ausnutzung des vorhandenen Platzes“, sagt Joost. Er lässt keinen Zweifel daran, wie wenig er von dieser Lösung hält.

Wesentlich kreativer waren da schon die rare-Architekten. „Wir sind drei Italiener, leben aber schon seit Jahren in Berlin und freuen uns, die Stadt mitgestalten zu können“, sagt Barbara Di Gregorio. Sie demonstriert mit ein paar Fotos, wie abweisend sich das Gelände derzeit von der Köpenicker Straße aus gibt: graue Mauern, die den Blick zum Fluss versperren. Dann lässt Di Gregorio professionelle und vor allem sehr detaillierte Pläne folgen. Mit zahlreichen kleinen Gebäuden, vielen Grünflächen, Stegen und Bühnen auf dem Wasser und einem großen Hochgarten.

„Wir wollen maximale Durchlässigkeit, damit das Spreeufer ein Ort wird, an dem man sich trifft, und nicht einer, von dem man so schnell wie möglich wieder wegwill, so wie es momentan noch ist“, erklärt die Architektin. Genutzt werden sollen die Gebäude vor allem öffentlich als Kunst-, Tanz- und Musikschule sowie als Theater, Schwimmbad und Bibliothek.

Ausschließlich Wohnraum wünscht sich hingegen Norbert Rheinländer von der Genossenschaft Autofrei Wohnen. „Wir suchen schon lange ein Grundstück, das wir gemeinsam erwerben und bebauen können“, erzählt er. Der Entwurf für das Zapf-Areal sei erst in den letzten zwei Tagen entstanden. „Daher ist er noch nicht so ausgefeilt.“

„Das Ufer soll ein Ort werden, an dem man sich trifft“

ARCHITEKTIN BARBARA DI GREGORIO

Drei Gebäude, zwei U- und eins I-förmig, sollen entstehen, jeweils sechs Stockwerke hoch. Die Us sind zur Spree hin geöffnet, der Abstand der Häuser zum Fluss ist groß. „Die Grünflächen zwischen den Häusern sollen sowohl privat als auch öffentlich genutzt werden, und jede Wohnung bekommt Spreeblick“, erklärt Rheinländer.

Die Zuschauer applaudieren – wie für alle anderen Beiträge auch. Weiteren Diskussionsbedarf gibt es nicht. Die meisten der Anwesenden haben selbst einen Vorschlag eingereicht oder gehören zu den Mitgliedern der Initiative. Alle Argumente sind hier längst ausgetauscht.

Auf die alte Leinwand werden weiter Pläne projiziert. Man sieht öffentliche Parks, futuristische Bürohäuser, ein Hanflabyrinth. Es ist der mit Abstand außergewöhnlichste Entwurf, und das, obwohl keiner der Entwürfe realitätstauglich sein muss. Die Ideen werden lediglich gesammelt und als Empfehlung an Senat und Bezirk weitergegeben, bevor es an die wirkliche Planung des Geländes geht. Also eigentlich die einmalige Gelegenheit, richtig herumzuspinnen. Doch wenn Architekten träumen, dann offenbar nur davon, dass der Staat ein Gelände kauft, kulturelle Einrichtungen darauf unterbringt und den Rest zum Park erklärt.

Kuriositäten gibt es hier allenfalls auf dem Flohmarkt, der die Markthalle an diesem Samstag belegt. Aber das kann sich bis zur nächsten Präsentation des Ideenwettbewerbs noch ändern. Er läuft noch bis Anfang Mai.