Das Kino des Versagens

UNVERWECHSELBAR Die Insel-Lichtspiele in Hamburg-Wilhelmsburg gehen ein Risiko ein und zeigen unter freiem Himmel originelle Filme übers Scheitern

Ein originelles Programm ist neben dem Wetter ein Risikofaktor

Die Programme der meisten Hamburger Open-Air-Kinos sind austauschbar. Gezeigt wird die Konfektionsware der Saison, denn ein originelles Programm ist neben dem Wetter ein Risikofaktor. Es ist bemerkenswert, wenn der Verein Insel-Lichtspiele im Stadtteil Wilhelmsburg Filme über das Scheitern zeigt.

Gleich beim ersten Film heute Abend um 21.30 Uhr kann man sehen, warum im Kino so gerne vom Scheitern erzählt wird: Im Kultfilm „Außer Atem“ von Jean Luc Godard wird Jean-Paul Belmondo cool und fotogen von Jean Seberg ans Messer geliefert.

In der Pubertät scheitern die Helden ständig, und so musste auch eine Coming-of-Age-Geschichten ins Programm. In dem britischen Sozialdrama „Fish Tank“ (1. 8.) von 2009 wird von einer 15-Jährigen erzählt, die bei einem Casting für HipHop-Tanz reingelegt und dann auch noch vom Freund ihrer Mutter verführt wird.

Keiner kann das Scheitern so grandios inszenieren wie Werner Herzog, und mit „Fitzcarraldo“ (2. 9.) hat er eine große Oper im Dschungel gemacht – mit Klaus Kinski als Diva. In Louis Malles „Fahrstuhl zum Schafott“ (3. 8.) bleibt ein Mörder in einem Aufzug stecken, das wird bei der von Miles Davis improvisierten Filmmusik zur Nebensache. Am Berliner Alltag scheitert Tom Schilling in „Oh Boy“ (5. 8.) von Jan-Ole Gerster – und zwar so komisch wie selten im deutschen Kino.

In „Welcome“ (6. 8.) von Philippe Lioret will ein irakischer Kurde illegal nach England einreisen und schwimmt von Calais aus durch den Ärmelkanal. Dies ist wohl das traurigste Scheitern der Reihe. Ein sehr junger Al Pacino verrennt sich in „Hundstage“ (7. 8.) von Sidney Lumet aus dem Jahr 1975 in eine chaotische Geiselnahme, weil ein Bankraub schiefgeht, mit dem er die Geschlechtsumwandlung seines Freundes finanzieren wollte.

Natürlich darf in solch einer Auswahl der Virtuose des Scheiterns, Franz Kafka, nicht fehlen. Orson Welles hat 1961 eine sehr eigentümliche Adaption von „Der Prozess“ (8. 8.) inszeniert – mit Anthony Perkins als Josef K. sowie Romy Schneider und Jeanne Moreau. Der Geheimtipp im Programm ist die belgische Groteske „Die Beschissenheit der Dinge“ (9. 8.) von Felix Van Groeningen, in dem die Protagonisten ihr Leben versaufen. Dieses Elend ist schonungslos inszeniert – und deshalb großes Kino.

Mit dem letzten Film schließt sich der Kreis, denn nach dem ursprünglichen Drehbuch sollte der Antiheld Martin am Ende von „Zur Sache Schätzchen“ (10. 8.) von Polizisten erschossen werden – genau wie Belmondo in „Außer Atem“. Doch als während der Dreharbeiten 1967 der Student Benno Ohnesorg erschossen wurde, war dieses Finale zu nah an der Realität. Und so inszenierte May Spils eine nette Gammler-Idylle aus Schwabing, in der Werner Enke sich nicht aufraffen kann, ordentlich zu scheitern.  HIP

Open-Air-Kino in den Zinnwerken: Am Veringhof 7, Hamburg