Viel Aufwand für ein paar Rechte

Tausende demonstrieren in Bergedorf gegen ein Häuflein Neonazis. Kirchen, Gewerkschaften, Parteien und Antifa hatten mit Erfolg mobilisiert. Polizei gibt schlechten Verlierer

von Peter Müller
und Andreas Speit

Der Aufruf blieb ungehört – beinahe. Gerade mal 30 Neonazis kamen am Samstag zusammen, ihre Parole „Kein Multikulti in Bergedorf“ wollte im besagten Stadtteil aber niemand hören – und kaum jemand konnte sie hören. Gegenüber der Pauli-Kirche sammelten sich der Neonazikader Christian Worch und die Hamburger NPD-Vorsitzende Anja Zysk mit ihrem kleinen Gefolge, um gegen den Bau einer Moschee in Bergedorf zu agitieren. Auf ihren Transparenten stand „Bergedorf ist kein Orient“. Aber es hing da auch noch ein Transparent: „Keine Toleranz für Neonazis!“

1.200 Polizisten sperrten den Vorplatz zur Kirche mittels Absperrgittern, Panzerwagen und Wasserwerfern ab, rund 2.000 – manchen Quellen zufolge rund 1.100 – Gegendemonstranten säumten die Umgebung. Das Bild war rasch klar: Christian Worch hat schon bessere Zeiten gesehen. Immerhin kann sich der Neonazikader rühmen, zu den engsten Gefolgsleuten der rechten Gallionsfigur Michael Kühnen und seiner „Aktionsfront Nationaler Sozialisten“ gehört zu haben. Oder Mitbegründer der inzwischen verbotenen „Nationalen Liste“ zu sein. Oder als ideologischer Vordenker der „Anti-Antifa“, die das Vorgehen gegen Antifaschisten koordiniert, letztlich das Konzept der „Freien Kameradschaften“ mit ausgebrütet zu haben. Alles weit zurückliegende, weit entfernte Erfolge an diesem Samstag in Bergedorf.

Der Vormittag begann ritualisiert: Vor Gericht hatte das Antifa-Bündnis die Route für seine Demonstration durchgesetzt. Umso deutlicher zeigte die juristisch unterlegene Polizei am Bahnhofsplatz Stärke. „Die sind auf Krawall ausgerichtet“, kommentierte ein Demonstrant die Situation, als das polizeiliche Großaufgebot die Demo nach wenigen Metern stoppt – wegen „Vermummung“. Viele Demonstrierende mussten bei gefühlten sieben Grad unter Null ihre Schals und Mützen ablegen. Bei den Neonazis sollte darauf später nicht bestanden werden. Sollte es der Plan der Polizei gewesen sein, die Antifa-Demo in die Bergedorfer Peripherie zu lenken, dann misslang er: Noch im Zentrum lösten die Veranstalter den Zug auf.

Gegen Mittag dann herrschte hier im Zentrum Ausnahmezustand. Überall waren Straßensperren aufgebaut worden, während die Rathaus-Parteien auf dem Markt Info- und Naschstände ausgerichtet haben. Die Gewerkschaften luden zum Kultur-Event gegen Rechts. Derweil eskortierte die Polizei die Neonazis durch eine Seitenstraße zu ihrer Kundgebung. Den rechten Rede-Marathon begann die parteiintern höchst umstrittene NPD-Vorsitzende Anja Zysk. „Es gibt in meiner Partei einige nationale Kräfte, die meinen, wenn einer der Feind eines Feindes ist, ist er unser Freund“, sagte sie mit Blick auf jüngste Überlegungen, sich radikalislamische Partner für ein gegen Israel und die USA gerichtetes Bündnis zu suchen. „Diese Rechnung geht nicht auf.“ Jedes Volk habe seine eigene Identität – „aber da, wo es hingehört“. Die islamische Front aus der Türkei, so Zysks Fazit, „rollt auf Deutschland zu“.

Während die Neonazis sich im Glockengeläut der Kirche nur selbst zuhörten, ging es in der Umgebung rund: Nach Schneeballwürfen setzte die Polizei Wasserwerfer ein. Das wiederum sprengte das Kultur-Event der Gewerkschaften. Durchnässte Demonstrierende ließen sich im Gewerkschaftszentrum versorgen, während im Vorraum anatolische Tänze aufgeführt wurden.

Am Nachmittag verfrachtete die Polizei das Häuflein Rechte mit Dienstfahrzeugen aus der Gefahrenzone. Am Bergedorfer Bahnhof – wie auch später am Hauptbahnhof – kam es zu kleineren Scharmützeln zwischen Polizei und Gegendemonstranten. Insgesamt wurden 30 Personen vorübergehend in Gewahrsam genommen.