Einfach dürre und matt

Quote machen ist am Düsseldorfer Schauspielhaus angesagt. Deshalb verarbeitete das Ensemble mit Regisseur Volker Lösch Friedrich Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ zur Büttenrede

VON REGINE MÜLLER

Friedrich Dürrenmatt ist immer gut für die Quote. „Die Physiker“ jedenfalls waren einer der großen Kassenerfolge und Dauerbrenner der Ära von Anna Badora am Düsseldorfer Schauspielhaus, auch und vor allem, wegen der einen pädagogisch wertvollen Abend absolvierenden Schulklassen. Einen spürbaren Kasseneffekt mag auch die neue Theaterleitung im Sinn gehabt haben beim „Besuch der alten Dame“, denn mit der Auslastung hapert es dem Vernehmen nach. Dass gerade eine wohl kaum Quoten-strategisch gedachte Produktion wie der intime Bach-Abend im Kleinen Haus dauernd ausverkauft ist, beweist, dass das angeblich so oberflächliche Düsseldorfer Publikum eben gar nicht so blöd ist wie immer unterstellt. Diese Erkenntnis ist in der Düsseldorfer Theaterleitung jedoch immer noch nicht angekommen, auch lange nach Ablauf der Schonfrist.

Regisseur Volker Löschs eigenmächtige Version der Dürrenmattschen-Fabel von der käuflichen Moral setzt einmal mehr auf lautes, lärmendes, kabarettistisch gemeintes und aktuell-sein-wollendes Spaßtheater dürftigster Güte. Denn der Düsseldorfer ist angeblich mental nichts anderes als ein jecker Ganzjahreskarnevalist, der mit schwerer Zunge die „längste Theke der Welt“ begrölt und platte Witzchen über lokale Kabalen goutiert. So beginnt der Abend denn auch mit der Frage „Wo bleibt unser Altbier?“ und das im Publikum verstreut sitzende Ensemble fordert zum Aufstehen und Mitsingen auf. Da Premierenpublikum tat artig mit. Seinen überregional bekannten Namen hat sich Volker Lösch durch den Skandal um Hauptmanns „Weber“ am Dresdner Staatsschauspiel erworben, als er einen Chor der Arbeitslosen dazu erfand und nicht nur ein erbostes Publikum gegen sich hatte, sondern auch gleich noch einen Urheberrechtsstreit mit Hauptmanns Erben.

Auch mit Dürrenmatt verfährt er nicht eben zimperlich: Der Text ist ihm nur noch ein grobes Raster, um den herum sich das Ensemble selbst frei, sehr frei aus Tagespolitik, eigener Befindlichkeit und Zeitgeist-Themen etwas zusammen gedichtet hat. Im Eifer der Aktualisierung wird aber nicht nur alles beliebig und ermüdend flach, es unterlaufen auch grobe Fehler. Es mag ja angehen, dass aus dem fiktiven Dürrenmattschen Güllen, aus dem die in ihrer Jugend unehelich schwanger gewordene Claire Zachanassian (Susanne Tremper) vertrieben wurde, eine moderne Großstadt, sprich Düsseldorf geworden ist. Es mag auch angehen, dass die Ähnlichkeiten einiger Bühnenfiguren mit lebenden Düsseldorfern überaus beabsichtigt sind. Nur gilt die Ursache der Korrumpierbarkeit der Güllener eben so gar nicht für das Dorf an der Düssel, nämlich, dass es hoch verschuldet sei. Im Gegenteil. OB Joachim Erwin, der ein paar Minuten zu spät von der Eröffnung des neuen Kunsttunnels am Rhein kam, konnte ganz entspannt abwarten, was seine Kopie – im Rausch des Allmachtswahns: Matthias Leja – da oben auf der Bühne so alles zu erzählen hatte. Es focht ihn nicht an.

Dann gibt es da noch einen Zoten faselnden Kunstprofessor mit Gehstock (Hans-Joachim Wagner), der scharf ist auf Studentinnen, eine Boulevard- Schauspielerin (Cathleen Baumann), einen schwulen PR-Typen (Urs Peter Halter), den Polizeichef (Christoph Müller) und den üblen Burschen Alfred (Rainer Galke), der Claire einst schwängerte, dies leugnete, inzwischen längst verheiratet mit Mathilde (Katharina Abt) und verfettet ist und im Gegenzug für Claires Milliardenspritze sterben soll. So recht kann man für Alfreds tragisches Schicksal jedoch kein Interesse aufbringen, denn das Sketch-Gewitter, die dröhnende Tonspur und die unablässig ächzende Drehbühne lassen nichts übrig von der Tragödie. Eine Komödie indes wird auch nicht draus, denn das eigentliche Problem dieses Abend liegt schon in seinem dramaturgischen Grundirrtum. Dürrenmatts Güllen ist ein fiktiver Ort, der überall sein könnte. Aktualität und Wiedererkennungswert speisen sich im besten Fall aus dem dämmernden Gefühl des sich selbst Erkennens. Dann könnte der heute leicht eindimensional wirkende Text wohl noch leise unter die Haut kriechen. So aber geht er einen nichts an und bleibt bei der Brisanz einer mittelprächtigen Büttenrede.

Infos: 0211-369911