ausgehen und rumstehen: Kein Eintritt mit Sporen
I wanna be a cowgirl. So you could be my cowboy.
„Ich hab Cowboys im U-Bahnhof gesehen“, warnte mich schon mittags ein Freund im Edeka Markt, „mit riesigen Hüten.“ „Okay, fuhren sie Richtung Wittenau?“ Also hatten sie schon früh ihr Lagerfeuer in Neukölln verlassen und waren zur 12. Country Music Messe im Märkischen Viertel gefahren. Als man Stunden später endlich das Fontane Haus zwischen verschneiten Parkplätzen, einem Einkaufscenter und Hochhäusern findet, sieht man immer mehr Boots- und HutträgerInnen. Sie stehen im Gyros-Imbiss, am Geldautomaten und an einer hölzernen Bratwurstbude. Nur ihre Pferde haben sie heute, wahrscheinlich wegen der Kälte, schon vor der Stadt im Stall zurückgelassen. „Kein Eintritt mit Sporen.“
In dem mit grellgelben Fenstern und Sichtbeton an die Siebziger erinnernden Gemeinschaftshaus wimmeln tausende von Countryfans rum. Es gibt niedliche Klamottenstände. Fleecejacken mit Tannen oder Pferden drauf zum Sonderpreis. Auch komplette Reiteroutfits mit langen Outbackmänteln, damit man sich nicht die Bluejeans an den Dornenbüschen in der Prärie von Meck-Pomm aufreißt, und Hemden mit allerlei bunten Stickereien drauf. Dann Stiefel, Stiefel, Stiefel, die immer Boots heißen. An der Wand ein Ölgemälde, Cowboy mit Hut unterm Arm vor Felsen, Pferd läuft traurig weg.
An einem Stand mit akustischen Gitarren sitzen zwei Typen vor einem Strohballen und probieren Instrumente aus. Gegenüber stehen nicht ältere Männer und gebräunte Saloongirls am Jack-Daniels-Stand. Trinken und gucken ernst. Neben ihnen auf einer Pinnwand werden „klassenübergreifende Projekte“ angeboten, und man denkt: ganz schön politisch, die Country-Leute. Dann aber kommen sie unter ihren Trachten ziemlich unexzentrisch und angenehm entspannt rüber. Auch nicht so stressig jung. Fast keiner telefoniert; gefühltes Durchschnittsalter ist 57.
Dann fegen einem eine ganze Horde Frauen mit total steifen, weiten Röcken auf einer Treppe entgegen. Dahinter Männer in kompletter Kavallerieuniform mit unterschiedlichen Orden und Aufnähern an den Jacken. Die Trachtentruppe läuft Richtung großer Saal, einer Art Megaaula. In der spielen Bands wie die Berliner Boots On Fire und es wird Line-Dance, öhm, vollführt. Dabei tanzt man in langen Reihen hintereinander in merkwürdigen Schrittfolgen, klatscht mal in die Hände, lacht nie und ruft unvermittelt: yiehah!
Nur Indianer sieht man den ganzen Tag lang keine. Das Märkische scheint überhaupt eine Heimat für Countryisten zu sein. Die recht große Kneipe American Western Saloon im Fontane Haus ist keine temporäre Kunstinstallation, sondern yiedelt und fiedelt im Dauerbetrieb. Zu empfehlen wäre hier sicher das Konzert am 30. März mit Smiledriver, einer Status-Quo-Coverband. Einen gesunden Witz hat die Kneipe auch. Unter einer Karikatur eines Cowboys steht: „Our beers are as cold as your exwife“.
Zwischendurch, in den immer voller werdenden Gängen, lassen sich auch tolle Texte entdecken. Zum Beispiel von der CD „Thank You Fans, Thank You Bands“, geschrieben unter Eindruck der „Abschlusssession“ des Country Music Festes in Silkeborg, Dänemark: „Now it’s time to go home. And wherever we go. Our music will stay. Anyway, every day. Thank you friends, thank you bands“. Hut ab! ANDREAS BECKER
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