THOMAS RUTTIG ÜBER NEUE ZIVILE OPFERZAHLEN AUS AFGHANISTAN
: Die Märchen der Nato

Die Regierungen der Nato-Staaten, die Soldaten für die Afghanistan-Schutztruppe Isaf stellen, bemühen sich zurzeit, ein Narrativ des Erfolgs als Begründung für den geplanten Truppenabzug zu entwickeln: Nach einem viel beworbenen Strategiewechsel seien afghanische Armee und Polizei immer besser in der Lage, selber ihr Land gegen die Aufständischen zu schützen.

Dass die UNO gerade 2010 als das für afghanische Zivilisten tödlichste Jahr seit der US-geführten Militärintervention gegen das Taliban-Regime nennt, spricht eine andere Sprache. Der massiv erhöhte militärische Druck zwingt die Aufständischen eben nicht zum politischen Einlenken. Alle Sicherheitsanalysten in den Kerngebieten des Aufstands bestätigen, dass sich die Kennziffern für wirklich erfolgreiche Aufstandsbekämpfung wie Zahl, geografische Ausdehnung und Wirkung gegnerischer Angriffe nicht positiv entwickeln. Aber weil man das in Brüssel und Washington nicht wahrhaben will, reden diese Analysten nur noch „off the records“. Afghanistan steht für eine schiefgelaufene politische Intervention des gerade auf diesem Gebiet ambitionierten transatlantischen Bündnisses. Es hat Afghanistan zu einem Regime verholfen, das in den Augen sehr vieler Afghanen – und Afghaninnen! – Alltags- und Rechtssicherheit noch weniger gewährleistet als die Taliban. Und man kann es kaum noch direkt beeinflussen, da Präsident Karsai sich aus der Bevormundung seiner westlichen Mentoren gelöst hat und deren Fehler argumentativ geschickt gegen sie einsetzt.

Die Afghanen kauften die Nato-Erfolgsstorys ohnehin nicht. Unter ihnen herrscht blanke Angst, wieder allein gelassen zu werden – mit den Taliban und Karsais korrupten Warlords.

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