„Mit Gewissen fühlst du dich obdachlos“

Charles Burnett ist einer der wenigen afroamerikanischen Filmemacher, die seit den 70er-Jahren aktiv sind – jenseits von Blaxploitation. Sein Film „Killer Of Sheep“ über einen schwarzen Schlachthofarbeiter läuft jetzt im Forum. Ein Gespräch über Melancholie, Hollywood und das Überleben im System

INTERVIEW ANDREAS BUSCHE

taz: Mr. Burnett, ein Kritiker hat sie einmal als „One-Man Afro-American New Wave“ bezeichnet. Ist das nicht etwas unfair gegenüber den anderen Filmemachern, mit denen sie Anfang der Siebzigerjahre zusammen aktiv waren?

Charles Burnett: Ja, wir waren damals eine kleine Gruppe, die viel gemeinsam hatte; nicht so sehr hinsichtlich des Stils, sondern weil wir uns alle Gedanken darüber machten, wie man das Leben von Afro-Amerikanern am besten abbilden könnte. Wir fühlten, dass unser Image durch Hollywood verzerrt wurde. Was wir heute in den schwarzen Communities sehen – die Gewalt, der Hang zur Selbstzerstörung – ist nicht zuletzt Hollywoods Einfluss geschuldet. Den Menschen unserer Generation wurde ihr Platz in der Geschichte schlicht verweigert. Wir mussten also selbst raus, um diese Geschichte zu finden und festzuhalten.

Sie werden heute zur so genannten L. A. School der Siebzigerjahre gerechnet.

Die Begriffe „L. A. School“ und „L. A. Rebellion“ wurden erst Jahre später von Filmhistorikern geprägt. Wir hatten uns damals alle als Filmstudenten an der University of California (Ucla) kennengelernt – Julie Dash, Sharon Larkin, Bill Woodberry, Haile Gerima und ich, und wir unterstützten uns gegenseitig bei unseren Filmprojekten. Die Ucla war zu jener Zeit eine ausschließlich weiße Institution. Mein damaliger Lehrer brachte zum ersten Mal ethnische Minderheiten an die Schule: Latinos, Afro-Amerikaner, Native Americans. Aus diesen Gruppierungen sind später wichtige Netzwerke wie die „Hispanic Coalition“ oder die „Asian Coalition“ entstanden. Die Einzigen, die es nie geschafft haben, sich zu organisieren, waren wir Afro-Amerikaner.

Es gab also kein Manifest?

Wir haben viel debattiert, aber wir konnten uns nicht mal auf einen Namen für unsere Gruppe einigen. Abgesehen von inhaltlichen Themen – zum Beispiel „Was konstituiert die ,black experience?‘“ – ging es dabei auch um Grundsatzfragen wie: „Kann man den Film eines weißen Regisseurs über das Leben von Schwarzen einen ,schwarzen Film‘ nennen?“ Über solche Fragen haben wir uns am Ende aufgerieben. Das Hauptproblem war meiner Meinung nach, dass wir zu sehr Filmemacher waren und keine Visionäre. Niemand an der Ucla hat uns so etwas wie Managementkenntnisse beigebracht, die Fähigkeit sich zu organisieren und ein bestimmtes Image nach außen zu tragen. Das wird an Filmschulen einfach nicht unterrichtet.

Was fühlen sie, wenn Sie „Killer of Sheep“ heute, nach fast 30 Jahren, sehen?

Der Film stimmt mich zunächst mal melancholisch. Einige der Schauspieler sind gestorben. Es hat sich so viel in dem Stadtteil Watts, wo wir drehten, verändert. Und wir dachten damals, unsere Lebensumstände wären schlimm … Rückblickend muss man sagen, dass wir Mitte der Siebziger einen fast unschuldigen Zustand festgehalten haben. Die Kinder, die wir im Film beim Spielen in den Straßen zeigten, hatten immerhin noch eine Kindheit.

Man hat Los Angeles noch nie – und nie wieder – so gesehen, wie sie es damals zeigten. Woher kam die Idee, einen Arbeiter im Schlachthof als Metapher für emotionale Abstumpfung zu benutzen?

Auf dem Weg zum College sprach ich eines Tages mit einem Jungen, jünger als ich, der mir erzählte, dass er in einem Schlachthof sein Geld verdiente. Das hat mich tief berührt, ich konnte mir einfach nicht vorstellen, so einen Job tagtäglich machen zu müssen, ohne dass sie einen bis in die Träume hinein verfolgt. Der Junge aber wirkte so normal. Ich wollte damals einen Film über einen Mann machen, der wegen der sozialen Verhältnisse langsam den Bezug zur Realität verliert. Der Schlachthofjob war genau die Sorte von Arbeit, die einen solchen Prozess auslösen konnte.

Die Musik spielt in „Killer of Sheep“ eine große Rolle – von Dinah Washington bis Earth, Wind and Fire. Sie haben sich immer geweigert, andere Songs zu benutzen, und in Kauf genommen, dass der Film aufgrund der komplizierten Rechtslage lange Zeit nicht aufgeführt werden konnte.

Musik ist ein wichtiger Teil meiner eigenen Kindheit, und ich habe immer einen Film mit diesen Songs machen wollen. Sie sind Teil meiner Erfahrung.

Sie haben es seitdem immer wieder geschafft, in Hollywood zu arbeiten, konnten aber trotz Kritikererfolgen nie wirklich Fuß fassen. Die Figur Box Brown sagt in ihrem Documenta-Film „The Final Insult“ von 1997: „Selbst um zu überleben, muss man ein Teil des Systems werden.“ Hat dieser Satz auch mit Ihnen zu tun?

Mir macht dieses Dilemma beruflich wirklich zu schaffen. Aber für mich ist das Problem sehr viel weiter gefasst: Wir leben in einem Land, das sich nicht um dich schert. Menschen mit einem Gewissen müssen sich hier zwangsläufig obdachlos fühlen. Gleichzeitig bist du ständig gezwungen, bestimmte Regeln zu befolgen. Leute wie Box Brown glauben, sie verfügen über die nötigen Mittel, in diesem System zu überleben. Aber sie irren sich.

„Killer Of Sheep“. Buch, Kamera, Schnitt, Produktion: Charles Burnett. Mit Henry Gayle Sanders, Kaycee Moore, Charles Bracy, Angela Burnett,USA 1977, 83 Min.Im Laufe des Jahres kommt eine DVD mit „Killer Of Sheep“ sowie Burnetts frühen Kurzfilmen heraus (Milestone)