Das Ding, das kommt
: Braves Graffito

GESTRICKTES als Straßenkunst kann man dieses Wochenende in Wilhelmshaven sehen

Selbst häkeln, stricken, sticken. Was noch vor ein paar Jahren als biedere Tätigkeit braver Mädchen und Hausfrauen verschrien war, hat vor allem in den USA in den letzten Jahren unter veränderten Vorzeichen Hochkonjunktur. Trendbewusste Surfer stricken sich ihre Beanies heute selbst, in Cafés häkeln und sticken Mittzwanziger mit Wollknäueltattoos Totenköpfe an Tischdecken. Und in Buchläden füllen Bände mit Punk-Chic und trendig-subversiven Titeln wie „Anticraft“ oder „Stitch ’n’ Bitch“ längst eigene Abteilungen. Und entspannend ist es ja auch, Stichwort: „Stricken ist das neue Yoga“.

„Radical Crafting“ nennt sich die wachsende Bewegung, die die Handarbeit und das Basteln zum Zeichen gegen die Verwertungszyklen des Kapitalismus erklärt: zum „Subversive Knitting“ und zur coolen Gegenmode zur bedenklichen Sweatshop-Ware aus der Mall. Radical Crafting verbindet dabei nicht nur Kunst, Design, Handwerk, D.I.Y., Punk und Aktivismus, sondern macht aus der privaten Hausarbeit eine öffentliche Angelegenheit: Die ProtagonistInnen sind längst gut, nun ja, miteinander verknotet: Verabredungen treffen die radikalen HandwerkerInnen im Internet, wo sie natürlich auch ihre Produkte vertreiben. Subversiv gestrickt, feministisch gehäkelt und aktivistisch gestickt wird in öffentlichen Parks oder Bibliotheken und auf, man ahnt es, „Woolfest“ genannten Festivals in aller Welt.

Seit neun Jahren treibt es die Woll-Lüstigen auch auf der rastlosen Suche nach Einzustrickendem in den öffentlichen Raum: Mit Accessoires für Türklinken und Straßenschilder begann die Gruppe Knitta Please um die Texanerin Magda Sayeg in Houston mit dem Garn-Bombing, heute strickt man Graffiti auch für Telefonzellen, Straßenschilder und Statuen in England, Spanien und Deutschland. Vor vier Jahren tauchte die „brave kleine Schwester des Graffito“ (FAZ) auch in Frankfurt am Main, in Berlin und am Stuttgart-21-Bauzaun auf.

Weh tut das radikale Einstricken des Öffentlichen natürlich niemandem. Skeptische Stimmen warnen schon vor dem gemeinsamen Zusammenbruch von Alternativkultur und Feminismus. In Münster heißt das entsprechende Stadtverschönerungsprojekt tatsächlich „Legal Urban Knitting“ – beteiligt sind das Amt für Grünflächen, das Bündnis „Münster bekennt Farbe“ und eine Schule, in der Erstklässler bunte Würmer stricken, um sie in Bäume zu hängen.

Und viel mehr als hübsch anzusehen ist auch die Urban-Knitting-Aktion des vierten Internationalen Street-Art-Festivals in Wilhelmshaven dieses Wochenende nicht: Auf mehreren Hundert Metern sollen die Bäume an der Bahnhofsstraße umstrickt werden. MATT

■ Sa, 2. 8. und So, 3. 8., Wilhelmshaven, streetart-wilhelmshaven.de