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Prozesshafte Performances

Selbstgeißelung galore: Babette Mangoltes Film „Seven Easy Pieces by Marina Abramovic“ im Forum Expanded

Babette Mangolte ist Filmemacherin und Fotografin und war eine der ersten Kamerafrauen in den 60er-Jahren. Neben ihren eigenen Filmen hat sie mit Chantal Akerman, Yvonne Rainer und Trisha Brown gearbeitet. Sie besitzt ein umfangreiches Archiv und langjährige Erfahrung mit Performance und Tanz. Ihr neuer, auf HD gedrehter Film „Seven Easy Pieces by Marina Abramovic“ ist jetzt als Weltpremiere im Forum Expanded zu sehen.

2005 inszenierte sich die Performance- und Schmerz-Künstlerin Marina Abramovic im New Yorker Guggenheim-Museum in sieben Performances, die ursprünglich von Bruce Nauman, Valie Export, Gina Pane oder Joseph Beuys aufgeführt wurden. So auch Vito Acconcis „Seedbed“ aus dem Jahr 1972. Damals legte sich Acconci unter einen doppelten Boden und masturbierte neun Tage lang, acht Stunden am Tag, unsichtbar für das Publikum, seine Gedanken und Fantasien waren über Lautsprecher zu hören. Es sei nicht wirklich einfach, öffentlich Orgasmen zu haben, sagt Abramovic über ihre Re-Inszenierung, aber es gelingt. Die weibliche Produktivität in der Lust ist eine andere: Feuchtigkeit und Hitze.

Im Film von Babette Mangolte sehen wir das Publikum, hören wir den Sound. Die ZuhörerInnen sind amüsiert, in sich versunken, unruhig, berühren die Lautsprecher, einer liegt da mit puterrotem Gesicht und schließlich schmiegen sich einige auf den Boden, halten die Ohren auf das Holz gepresst und klopfen Beifall. „Ich weiß, ihr seid da und ihr helft mir so viel“, sagt Abramovic. Ganz anders bei Valie Exports Performance „Genitale Panik“ – hier wird das Publikum aggressiv. Abramovic in der schwarzen Lederjacke, die Hose an den Genitalien ausgeschnitten, das Schamhaar einer 60-jährigen Schönheit sichtbar, und im Arm hält sie ein schweres Maschinengewehr. Die Performancekünstlerin weint, die Augen laufen ihr über. „Leg das Gewehr weg oder benutze es!“, ruft einer aus dem Publikum.

Mit enthusiastischer Kenntnis und atemberaubenden Kadrierungen folgt Babette Mangolte den viszeralen Risiken, der Hingabe, Erschöpfung und dem Kontrollverlust einer Performerin, die sich jeweils sieben Stunden dem Publikum aussetzt. Abramovics „eigene“ Performance ist „Thomas Lips“ aus den 70er-Jahren. Nackt isst sie Honig, trinkt Rotwein und packt am Tisch die Rasierklingen aus, mit denen sie sich später einen Stern in den Bauch ritzt. Sie geißelt sich und legt sich auf einen kreuzförmigen Eisblock. Anschließend steht sie nur in Militärmütze und Bergschuhen stramm zu einem religiösen russischen Gesang nach der Melodie eines jugoslawischen Partisanenliedes. Die Besessenheit wirkt auf das Publikum: Es wird immer stiller. Abramovic atmet und stöhnt. „Ein Film, der physische Erfahrung über Vernunft stellt, das Prozesshafte über die Ikonografie und die Kraft der Anteilnahme durch das Publikum über eine passive Zuschauerschaft“, sagt Mangolte.

MADELEINE BERNSTORFF

„Seven Easy Pieces by Marina Abramovic“. R.: Babette Mangolte. USA, 2007. 95 Min.; 17. 2., 15 Uhr, Cinestar

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