: Politik im Spiegel des Tanzes
THEATER In der Schwankhalle wurde „The Bog Forest“ uraufgeführt – ein Stück mit dem das steptext dance project die Migration mit den choreographischen Mitteln aufarbeitet
„The Bog Forest“ ist nicht nur in Bremen, sondern im April auch im italienischen Catania sowie im Oktober im kanadischen Montreal zu sehen.
■ In der Schwankhalle läuft das Stück am heutigen Samstag, morgen sowie am 13., 16., 18. und 19. März, jeweils um 20 Uhr. Im Anschluss an die Vorstellungen gibt es jeweils Publikumsgespräche.
■ Im Rahmenprogramm gibt es heute um 11 Uhr im Haus der Wissenschaft einen Vortrag des Choreographen Helge Letonja, der zusammen mit der Dramaturgin Anke Euler über „Tanz als Spiegel gesellschaftlicher Zustände“ spricht. mnz
VON JAN ZIER
Am Anfang steht der Wald, „Sumpfwald“ nennt ihn das steptext dance project. Als Sinnbild könnte er etwa für Marokkos Grenzgebiet stehen, sagt Choreograph Helge Letonja, dort die Boatpeople verstecken, kurz bevor sie nach Europa aufbrechen.
Das ist die Szenerie, in der das Tanzstück „The Bog Forest“ angesiedelt ist. Es tritt an, das komplexe Thema „Migration“ einmal mit choreographischen Mittel auszuleuchten, wurde am Donnerstag in der Schwankhalle uraufgeführt und ist zugleich der erste Teil der Trilogie „Displacing Future“. Das Projekt wird drei Jahre von der Kulturstiftung des Bundes gefördert und hat sich schon gegen 33 Konzepte durchgesetzt – die sich alle als „professionelle Spitzenensemble des freien Theaters“ bewarben.
Professionalität kann man dem international besetzten Steptext-Ensemble dabei kaum absprechen. Wiewohl es sich ganz neu formiert hat, harmonieren die fünf TänzerInnen auf der Bühne schon in der Premiere gut miteinander, das Team kann also durchaus mit dem mithalten, was anderenorts feste Ensembles abliefern. Ergänzt wird es durch Christian Volz, der sich etwas sperrig „Vokalkünstler“ nennt und mit klarer, eindringlicher Stimme zwischen den TänzerInnen performt. Als „hybride Figur“, wie Letonja ihn nennt und mit dunkler, mitunter dämonischer Ausstrahlung.
Migration wird in „The Bog Forest“ häufig mit Flucht und Vertreibung übersetzt, wirkt dadurch erschreckend aktuell. Zugleich ist das Stück häufig gerade in jenen Szenen am Stärksten, in denen diese Lesart am Deutlichsten zum Tragen kommt, oder sogar, etwa von Hubschraubergeknatter begleitet, mit Verfolgung kombiniert wird.
Letonja lotet dabei vorsichtig die Grenzen zum klassischen Sprechtheater aus, etwa dort, wo sich ein Paar, zunächst zarte Gesten austauschend, gegenseitig stützend, schließlich einen heftiger Kampf liefert. Immer wieder werden die Innenwelten der AkteurInnen ausgeleuchtet, die Erwartungen und Sehnsüchte, Ängste und Hoffnungen. Der „Sumpfwald“, sagt Letonja, ist ein Ort, der die Gefühle aufnimmt. Manchmal bietet er Schutz – nur für kurze Zeit – fast immer aber ist er ein Ort im Ungefähren, auf halber Strecke zwischen verlassener Herkunft und ungewisser Zukunft. Und die, die sich in ihm treffen, bilden zwar temporäre Zufallsgemeinschaften, sind aber letztlich doch allein, verlassen. Dann wird das Stückauch zur Klage gegen uns, die ZuschauerInnen in Europa.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen