„Die Großwirtschaft lenkt die Unis“

Der Staat hat seinen Einfluss auf Universitäten an Unternehmen abgetreten, sagt Hochschulrat Wolfgang Lieb

taz: Die Unternehmen in NRW drängen in die neuen Hochschulräte. Ist die Unabhängigkeit der Hochschulen bedroht? Wolfgang Lieb: Ich würde in diesem Bundesland sogar nicht mehr nur von „unternehmerischen“, sondern von „unternehmensgesteuerten“ Hochschulen sprechen. Wir müssen uns nur die Macht des Gremiums anschauen. Es wählt die Mitglieder des Präsidiums, stimmt dem Entwicklungsplan der Uni zu und nimmt Stellung zu Angelegenheiten von Forschung und Lehre. Allerdings frage ich mich, woher der Hochschulrat seine Legitimation nimmt. Im Aufsichtsrat eines Unternehmens sitzen Shareholder, die externen Mitglieder des Hochschulrats haben nichts in die Hochschule investiert, sie verfügen nur über das Geld des Steuerzahlers.

Allerdings sollen ja nicht nur Unternehmen in den Räten sitzen, auch Personen aus Kultur oder Wissenschaft.

Wir müssen uns doch nur anschauen, wie die Hochschulräte in anderen Ländern besetzt sind. Vorsitzender des Gremiums an der Spitzenuniversität LMU in München ist der Großverleger Burda. Außerdem sitzen Vertreter von McKinsey, der Hypo Vereinsbank oder von Eon im Rat. Hinzu kommen nur wenige Prominente. Dadurch sehe ich die gesellschaftlich relevanten Gruppen nicht vertreten, sondern überwiegend die Großwirtschaft.

Laut Forschungsminister Pinkwart soll die gesellschaftliche Kontrolle über die Hochschulen gestärkt werden.

Pinkwart macht einen Trick. Er sagt, die Hochschulräte seien gesellschaftlich demokratisch legitimiert, weil ihre Besetzung transparent stattfindet. Was er verschweigt ist, dass die Gremien während ihrer fünfjährigen Amtszeit keiner demokratischer Kontrolle unterliegen und niemandem rechenschaftspflichtig sind. Es sitzen bekannte Personen dort, die ihre Entscheidungen nach Vorurteilen und persönlichen Interessen treffen.

Was könnte ein Hochschulrat verändern?

Ich sitze selbst in einem Hochschulrat. Wir treffen uns vier Mal im Jahr. Wie sollte ich als externes Mitglied über die Zusammenlegung von Fachbereichen oder die Besoldung von Hochschullehrern mitentscheiden können? In der Praxis der meisten Hochschulräte stimmt der Präsident wichtige Entscheidungen mit dem Vorsitzenden des Hochschulrats „am Kamin“ vorher ab. Demokratische Entscheidungsgremien wie die Senate können kaum mehr mitreden. Die Hochschulen werden so allmählich zu ausgelagerten Werkbänken der Unternehmen.

Warum sind sie bei all der Kritik selbst Hochschulrat?

Ich bin da rein gegangen, um zu beobachten, wie das neue Gremium funktioniert. Außerdem versuche ich Einfluss zu nehmen, etwa durch meine Forderung, dass wir Hochschulräte endlich eine Selbstverständnisdebatte führen.

INTERVIEW: MORITZ SCHRÖDER