Biokarpfen von der Küste

Die Nachfrage nach Fisch steigt, die Meere sind chronisch überfischt. Gleichzeitig wird die Zucht immer wichtiger. Wie man sie nachhaltig gestalten kann, demonstriert ein Bioland-Fischzüchter

VON DIERK JENSEN

Er saß schon als kleiner Junge am Ufer von Fischteichen. Stundenlang starrte er gebannt auf das Wasser, beobachtete, wie sich die Fische bewegten, wie sie an die Oberfläche kamen und nach Futter schnappten. Und manchmal zog er dann, wie er heute verrät, mit dem Kescher heimlich einen Karpfen an Land.

Michael Bothstede gehört zu jenen Menschen, die ihre kindliche Begeisterung zum Beruf gemacht haben: Er wurde Fischwirtschaftmeister und bewirtschaftet seit 1989 im schleswig-holsteinischen Grambek 44 Fischteiche mit einer Wasserfläche von 32 Hektar. Darin gedeihen hauptsächlich Karpfen, aber auch Hechte, Schleien und Forellen. Als Mitglied des Anbauverbandes Bioland gehört er in Deutschland zum kleinen Kreis der Fischzüchter, die nach ökologischen Richtlinien arbeiten.

Naturnahe Aquakultur

Forschen Schrittes geht Bothstede seine künstlichen Teiche ab. „Seit ich Mitglied bei Bioland bin, füttere ich meine Fische mit Biogetreide, das ich von einem benachbarten Bauern beziehe“, erklärt der Süßwasserfischer, der, wie Fachleute sagen, „naturnahe Aquakultur“ betreibt. Er greift in den Futtereimer, zieht eine Handvoll geschrotetes Getreide heraus und wirft es in hohem Bogen in ein Fischbecken. Er dosiert das Futter streng. Will er doch seine Fische nicht mästen, sondern sie natürlich wachsen sehen. Das Wichtigste jedoch ist der Sauerstoffgehalt im Wasser, „das A und O jeder Fischwirtschaft“, so der drahtige Mann.

Rund 400 ausgewachsene Karpfen teilen sich eine Wasserfläche von einem Hektar. Beim Abfischen wird das Wasser, das aus den Quellen der umliegenden Mischwälder stammt, abgelassen. Dabei landen nicht alle Karpfen, die mühsam herangezogen werden, auf dem Teller. Von den etwa 3 Millionen Minikarpfen, die Bothstede zu Beginn einer Zuchtperiode aussetzt, bleiben am Ende nur 3.000 bis 4.000 ausgewachsene Speisekarpfen übrig. Viele Kleinfische fallen dem Vogelfraß zum Opfer. Dem ökologisch wirtschaftenden Fischzüchter bereiten insbesondere die gefräßigen Kormorane große Sorgen. „Diese Vögel haben mir jedes Jahr Fisch im Wert von 40.000 Euro weggefressen“, sagt der 48-Jährige zornig. Deshalb hat er jetzt damit begonnen, alle Teiche mit Netzen zu überspannen. Die aufwändige Investition finanziert er mit einer neuen Einnahmequelle: Für 20 Euro pro Tag können Touristen seit letztem Sommer in seinen Teichen Karpfen angeln.

Absatzprobleme kennt der Betrieb in der Südostecke Schleswig-Holsteins indessen nicht. Fast der ganze Fang geht über die Direktvermarktung. In seiner Scheune im Dorf verkauft er seine Karpfen derzeit zu einem Preis von 7,50 Euro pro Kilogramm. Damit liegt der Biofischer ungefähr 1 Euro über konventioneller Ware. „Das ist für mich vollkommen in Ordnung, denn meine Ökophilosophie ging immer schon dahin, zu nahezu gleichen Preisen das bessere Produkt zu erzeugen.“

Große Hoffnungen setzt er für die Zukunft auch auf seine neuartige Forellenzucht. Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend: Das Fleisch ist fest und außerordentlich schmackhaft. Bothstede ist nicht nur deswegen davon überzeugt, dass man trotz schwieriger Rahmenbedingungen auch am Standort Deutschland mit hochwertigen Fischen aus der Aquakultur einen lukrativen Markt im höheren Preissegment findet.

Eine Aussage, die gegen den Trend schwimmt, denn die klassische deutsche Teichwirtschaft schrumpft. Polen, Balten und Russen werfen ihre Fischprodukte günstiger als ihre deutschen Kollegen auf den Markt. Zudem hat sich die Fischzucht in geschlossenen Wasserkreisläufen hierzulande noch nicht durchsetzen können. „Das ist sicherlich eine Frage der Kosten“, meint Markus Brill, Referent für Fischwirtschaft im Bundeslandwirtschaftsministerium. Er verweist auf die hohen Lohn- und Energiekosten, die durch die geschlossenen, vollklimatisierten Aquakulturen entstehen. Dennoch ist Brill überzeugt, dass sowohl „naturnahe als auch geschlossene Aquakultursysteme in Deutschland nebeneinander existieren können“. Zumal für den Regierungsdirektor überhaupt kein Zweifel besteht, dass der Anteil der Fische und Meeresfrüchte aus Aquakulturen – derzeit ein Drittel am Gesamtverbrauch – weiter steigen wird. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Wenn die Anlandungen aus der globalen Hochseefischerei geringer werden und der Konsum wächst, dann wird die Fischzucht diese Lücke schließen. Und weil das Binnenland nicht genügend produziere, so die Prognose von Matthias Keller vom Hamburger Fisch-Informationszentrum (FIZ), werde der Import von Fisch außerhalb der europäischen Gewässer nach Europa in den nächsten Jahren noch weiter zunehmen.

Fischzucht fördern

Während nun offenbar Fische aus Übersee zum Siegeszug in deutsche Töpfe und Pfannen ansetzen, können sich bislang nur wenige deutsche Zuchtbetriebe mit Spezialprodukten im hart umkämpften Fischsegment behaupten, egal ob es nun die Austern von Sylter Royal, die Föhrer Miesmuschel, Kaviar aus der Störzucht in Fulda oder eben der Grambeker Biokarpfen ist. Allerdings fordert Biofischer Michael Bothstede ein stärkeres Bekenntnis der Agrarpolitik zur Förderung der Fischproduktion in hiesigen Aquakulturen. „Damit wir selber in Deutschland und Europa einen nachhaltigen Beitrag zur Überwindung der zukünftigen Knappheit aus dem Bereich der Meeresfischerei leisten können“, sagt Bothstede. Und so sieht der schleswig-holsteinische Fischer trotz Sushi-Liebelei und Pangasius-Euphorie durchaus Chancen für eine umweltgerechte Süßwasserfischerei zwischen Alpen und Nord- und Ostsee. Deutscher Biokarpfen bei Lidl – wieso nicht?