Erstsprache

Die Muttersprache erlernt man bereits im Mutterleib. Zumindest den Klanglaut, behaupten Wissenschaftler. Vielleicht heißt es auch daher in vielen Sprachen „Muttersprache“ und nicht etwa „Elternsprache“. Traditionell ist schließlich die Mutter die erste „Ansprechperson“ für das Neugeborene. Die Linguistik spricht von Erstsprache, besonders in einer bilingualen Sprachsituation. Die Sprachwissenschaftlerin Susanne Mühleisen sieht den Spracherwerb ganz pragmatisch: „Die Muttersprache ist keineswegs genetisch bedingt. Wenn ein Mensch ohne Mutter aufwächst, wird er/sie eine Sprache durch den Input der Umgebung erwerben.“

Über den Spracherwerb gibt es die unterschiedlichsten Theorien. Anhänger der sogenannten Identitätshypothese wie z. B. Heidi Dulay und Maria Burt gehen beispielsweise davon aus, dass der Erst- und der Zweitspracherwerb weitgehend gleichartig verlaufen. Die Zweitsprache werde aufgrund angeborener mentaler Mechanismen in Sequenzen erlernt, die dem Mutterspracherwerb ähnlich sind. Das heißt also, dass, wer eine Fremdsprache lernt, dieselben Fehler macht wie ein Kind beim Erlernen der Muttersprache. Die „Pidginisierungshypothese“ erklärt das Zustandekommen von sogenannten Pidgins, Mischsprachen. Als Pidgin bezeichnet man eine Sprache, die sich innerhalb einer Generation ausbildet, wenn Menschen unterschiedlicher Sprachherkunft miteinander leben und kommunizieren. Die Sprecher entwickeln eine Mischsprache, die sowohl mutter- als auch fremdsprachliche Elemente enthält.

Die durch den gleichnamigen Roman des deutsch-türkischen Schriftstellers Feridun Zaimoglu als „Kanak Sprak“ bezeichnete Mischsprache aus deutschen und türkischen Elementen hat sich hierzulande zu einer Art Slang entwickelt, der mittlerweile nicht nur unter türkischstämmigen Jugendlichen gesprochen wird. Manche solcher Sätze haben sich sogar in die Alltagssprache eingeschlichen: „Einmal Döner scharf mit alles!“ Es gibt auch heiße Debatten in Kindergärten und Schulen, berichtet die Pädagogin Sonja Reiß-Held. Türkischen Kindern wird nicht selten von Erzieherinnen in den Kindergärten verboten, untereinander Türkisch zu sprechen. Die Kinder müssen die deutsche Sprache lernen, so der Tenor.

Dass Mehrsprachigkeit eine Bereicherung ist, wird oft vergessen. Kindern, die bilingual aufwachsen, fällt oftmals das Erlernen weiterer Fremdsprachen leichter als Kindern, die mit nur einer Sprache aufwachsen. In der Regel ist für Kinder der Erwerb einer Fremdsprache bis zum Eintritt der Pubertät kinderleicht. Es ist besonders wichtig, dass die Muttersprache gefördert wird. Sie ist ein wichtiger Teil der Persönlichkeit und Identität des Kindes.

„Die Wertschätzung der eigenen Sprache und Kultur öffnet gleichzeitig das Interesse an dem Anderen“, so Sonja Reiß-Held. Nur wenn die Muttersprache der Kinder mit Migrationshintergrund respektiert und geachtet wird, erfahren sie Zustimmung und werden motiviert, auch die andere Sprache perfekt zu lernen.

Das eigentliche Sprachproblem der deutsch-türkischen Jugendlichen ist eher ein soziales Phänomen. Aufgewachsen in sozial schwächeren Familien, verbringen die Eltern nicht viel Zeit mit ihren Kindern. So lernen diese weder die eine Sprache richtig noch die andere. Im Grunde ist Mehrsprachigkeit also eine Bereicherung, nur muss sie auch richtig gefördert und akzeptiert werden. Dazu dient der Tag der Muttersprache, der seit dem Jahr 2000 jährlich am 21. Februar stattfindet. POUYEH ANSARI