Meditation statt Medizin

PROZESS Gericht in Nürnberg verurteilt ein Paar, das mit seinem kranken Kind drei Jahre lang nicht zum Arzt gegangen war, zu drei Jahren Haft. Die beiden Anhänger einer Sekte lehnen die „Schulmedizin“ ab

NÜRNBERG taz | Die „Hölle“ habe für ihn begonnen, als er mit 12 Jahren mit seiner Mutter zu deren neuem Freund nach Lonnerstadt in Mittelfranken gezogen sei, erzählte der Zeuge vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth. Der heute 27-Jährige leidet unter der chronischen Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose, die zu starkem Gewichtsverlust führt, wenn sie nicht richtig behandelt wird. Doch von einem Tag auf den anderen habe seine Mutter ihm keine Medikamente mehr gegeben, drei Jahre lang habe er keinen Arzt mehr gesehen.

Stattdessen sollte er meditieren. Denn der neue Freund seiner Mutter sah sich als „Lehrer der zeitlosen Weisheit“ – er soll der sektenähnlichen esoterischen Glaubensrichtung „Neue Gruppe der Weltendiener“ angehören, deren Anhänger die sogenannte Schulmedizin ablehnen. Am Montag wurden der 55-jährige „Guru“ und die Mutter des Zeugen, 48, zu jeweils drei Jahren Haft verurteilt. Es sei strafbar, einem kranken 13-Jährigen selbst die Entscheidung darüber zu überlassen, ob er zum Arzt gehen will oder nicht.

Der Zeuge hatte ausgesagt, er habe wirklich geglaubt, wenn er regelmäßig meditiere, sei er mit 18 Jahren geheilt, so sei es ihm versprochen worden. Bis zu neun Stunden meditierten er und seine Schwester am Tag, zum ersten Mal um drei in der Früh, auch zum Fasten wurde er aufgefordert. Am Schluss sei er so geschwächt gewesen, dass er es kaum mehr die Treppe hochschaffte. Nach drei Jahren ohne Medizin wog der damals 1,55 Meter große Junge nur noch 30 Kilo.

Statt der „Schulmedizin“ vertraute die Mutter, die vor Gericht mit einer Blume im Haar erschien, auf die Wirkung von Duftölen, Farb- und Musiktherapie oder einem Ananas-Papaya-Saft, den sie ihrem Sohn als Ersatz für ein Verdauungsenzym gab, das seine Bauchspeicheldrüse nicht mehr produzierte. Mit Handpuppen versuchte sie den Stress abzubauen. „Auch die Schwingungen von Mantren kann man positiv nutzen“, sagte sie. Sie beteuerte jedoch, sie habe nie Medikamente weggeschmissen. Vielmehr habe ihr Sohn selbst entschieden, diese nicht zu nehmen. LISA SCHNELL