„Hier ist nicht Konstantinopel“

Zehntausende demonstrieren in Istanbul gegen den Papst. Ihnen ist die Hagia Sophia für Benedikt XVI. zu heilig

ISTANBUL taz ■ Es hatten hunderttausende werden sollen, am Ende waren es dann etwa 30.000 Demonstranten, die sich am Sonntagmorgen zu einer Anti-Papst-Kundgebung in Istanbul versammelten. Aufgerufen dazu hatte die islamistische Saadet-Partei (Partei der Glückseligkeit), eine Splittergruppe, die es bei den letzten Parlamentswahlen auf gerade einmal 2,5 Prozent gebracht hatte. Dafür immerhin waren es dann doch noch ziemlich viele Anhänger, denen der bevorstehende Besuch des Papstes genügend Ärger bereitet, um sich im tristen Stadtteil Sisli auf einem Platz zwischen zwei Autobahnkreuzen zu versammeln. Die Partei hatte massenhaft vorgefertigte Transparente verteilt, auf denen in Englisch – für die zahlreich angereisten ausländischen Journalisten – stand „Wir lieben Jesus, liebt ihr auch Mohammed“ oder „Respektiert unseren Glauben“ und „Sei nicht unverschämt“ stand. Das Hauptmotto der Veranstaltung aber war: „Papa gelmesin“ also „Papst, komm nicht“ – solange du dich nicht für die Beleidigung des Propheten entschuldigt hast, wie die Redner dann meistens hinzufügten.

Bei den radikalen Papstgegnern, bei denen sich Islamisten wie Ultranationalisten die Hand reichen, gibt es vor allem zwei Themen, die die Gemüter vor dem Besuch erhitzten. Der Papst, so argwöhnen sie, ist nur die religiös verbrämte Speerspitze des westlichen, christlichen Imperialismus, der Istanbul den Muslimen nach gut 500 Jahren wieder entreißen will. „Hier ist Istanbul, nicht Konstantinopel“, skandierte ein Redner, und die Massen schrien mit. Deshalb wird das Treffen des Papstes mit dem Patriarchen der orthodoxen Kirche, Bartholomäus I., besonders argwöhnisch betrachtet, beansprucht Bartholomäus doch, als „Patriarch von Konstantinopel“ das Oberhaupt der Orthodoxie insgesamt zu sein. Benedikt, so die Radikalen, will ihn nun bei der Rückeroberung Konstantinopels unterstützen. Und das sei im Übrigen auch das eigentliche Ziel der EU.

Symbol der Auseinandersetzung ist dabei die Hagia Sophia. Schon vorige Woche hatten sich radikale Rechte, sogenannte Graue Wölfe, in dem Gebäude, das seit 1924 als Museum dient, unter die Touristen gemischt und Transparente gegen den Papst ausgebreitet. Die Hagia Sophia sei eine Moschee, der Papst habe dort nichts zu suchen, betonen Islamisten und Nationalisten immer wieder. Sie befürchten, der Papst wolle in der Hagia Sophia beten, um so das Wahrzeichen Istanbuls wieder als Kirche zu reklamieren. Jürgen Gottschlich