Gekaufte Staatsexamen

KORRUPTION In Niedersachsen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen einen Richter, der angehenden JuristInnen gegen Bezahlung Prüfungsfragen verraten haben soll. Rund 16.000 Klausuren betroffen

Das Justizministerium überprüft bis Herbst 16.000 Jura-Klausuren

Im Studienfach Jura wird viel geprüft – während des Studiums schon und vor allem zum Ende hin. Die Anzahl an Jura-Klausuren, bei denen es um etwas geht, lag in den vergangenen drei Jahren in Niedersachsen bei 16.000. Alle diese 16.000 Klausuren will das niedersächsische Justizministerium bis Herbst überprüfen: Der in diesem Zeitraum zuständige Prüfer, Richter Jörg L., wird verdächtigt, ExamenskandidatInnen die Prüfungsthemen mitsamt der Lösungen im Vorfeld der Prüfung verkauft zu haben. Seit Juni sitzt er in Untersuchungshaft. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Verden sind noch nicht abgeschlossen.

Aufmerksam wurde die Staatsanwaltschaft auf den Fall durch eine Referendarin, die Anfang des Jahres dem Justizministerium berichtete, ein Angebot eines privaten Repetitors erhalten zu haben, ihr die Prüfungsfragen zu verkaufen. In privaten Repetitorien bereiten sich RechtsreferendarInnen auf das zweite Staatsexamen vor. Nach Informationen der Zeit hatte Jörg L. vor seinem Amtsantritt beim Justizprüfungsamt bei dem gleichen Anbieter wie der besagte Repetitor Kurse gegeben.

Die Staatsanwaltschaft Verden ermittelte gegen beide und erließ Ende März Haftbefehl gegen den Richter. Verhaftet wurde er wenige Tage später in Mailand, mit 30.000 Euro und einer geladenen Pistole wurde er in einem Luxushotel aufgegriffen. Nachdem er in Italien wegen unerlaubten Waffenbesitzes vor Gericht stand, wurde der Justizbeamte nach Deutschland ausgeliefert.

Während die Zentralstelle für Korruptionssachen der Staatsanwaltschaft Verden gegen Jörg L. und den privaten Repetitor ermittelt, prüft eine zwölfköpfige Sonderkommission des Justizministeriums die Examensklausuren, die während der Amtszeit von Jörg L. abgelegt wurden. „Wir prüfen, ob es auffällige Übereinstimmungen mit den Lösungsskizzen gibt“, bestätigt der Sprecher des Justizministeriums Alexander Wiemerslage. „Wo sich dann ein Täuschungsverdacht ergibt, wird ein Strafverfahren zur Aberkennung der Prüfungsleistung eingeleitet.“

Von den 2.000 ehemaligen ExamenskandidatInnen sind nach Angaben des Ministeriums viele mittlerweile in diversen Sparten der Justiz tätig. 101 von ihnen arbeiten als RichterInnen und StaatsanwältInnen in Niedersachsen. Sollte sich der Täuschungsverdacht erhärten, droht ihnen die Aberkennung des jeweiligen Titels sowie der Verlust des Arbeitsplatzes. Aber auch eine Strafanzeige liege in einem solchen Fall nicht fern, bestätigt der Sprecher des Justizministeriums.  KATHARINA SCHIPKOWSKI