Lebenslänglich für Meisner?

Der Kölner Kardinal Joachim Meisner (73) kann sich vorstellen, auch über sein 75. Lebensjahr hinaus im Amt zu bleiben – wenn der Papst ihn darum bete. Ist das eine Katastrophe? Oder völlig egal – weil er nur ein konservativer Kirchenmann wie so viele andere ist? Kann Meisner bleiben?

JA

Mit Kardinal Meisner hat Johannes Paul II. sich geklont, wie er sich auf allen frei werdenden Bischofssitzen 26 Jahre lang geklont hat. Meine Meinung zu dem Thema: Bleiben oder Nicht-Bleiben von Kardinal Meisner ist völlig unmaßgeblich, weil sein Nachfolger, Papst Benedikt, selbst ein Klon von Johannes Paul II., das Klonen auf allen Bischofssitzen fortsetzt. Es ist also gleichgültig, ob Kardinal Meisner bleibt oder nicht bleibt. Es ändert sich nichts.

Bei dem Begräbnis von Kardinal Groer, Erzbischof von Wien, am 5. 4. 2003 hielt Kardinal Meisner die Predigt. Kardinal Groer ist derjenige, mit dem das skandalöse pädophile Verhalten eines Teils des katholischen Klerus an das Tageslicht kam. Kardinal Meisner sagte: „Kardinal Groer war es beschieden, wie Simon von Cyrene dem Herrn auf dem Kreuzweg zu folgen. Er war ganz eingetaucht in das bittere Leiden Jesu, das ihn aber vor der Verbitterung schützte. Er wusste sich auf diesem Kreuzweg ganz verbunden mit Maria... Wie viele Menschen aus Nah und Fern kamen zu ihm, um Wegweisung für ihr Leben zu erbitten... An seinem Sarg haben wir wirklich mehr Grund zum Danken als zum Klagen.“ Wieso zum Danken?

Johannes Paul II., Meisners Souffleur für Sexualfragen, d.h. für Verhütung und Homosexualität, auf die sich die katholische Kirche inzwischen fast ausschließlich konzentriert, schreibt in seinem Neuen Weltkatechismus 1992 einen dreistrophigen Hymnus auf „Keuschheit und Homosexualität“ (Nr. 2357-2359). Darin „stützt sich“ der Papst auf 1. Mose 19, 1-29: Besser, als homosexuelle Handlungen zuzulassen, soll man so handeln wie Lot es tat, der Neffe Abrahams. Als in der Stadt Sodom Homosexuelle in sein Haus eindringen wollen, um seinen männlichen Gästen „beizuwohnen“, schickte Lot ihnen seine beiden Töchter zur Vergewaltigung raus. Sie waren circa 12 bis 13 Jahre alt und verlobt und „wußten noch nichts vom Manne“.

Das einzige, was zum Thema Homosexualität statt Töchtervergewaltigung vom Papst und seinen Kardinälen hätte gesagt werden müssen, ist eine Entschuldigung gegenüber den Homosexuellen. Denn die christlichen Hirten haben seit 390 nach Chr. fast eineinhalb Jahrtausende lang aufgrund von Bibelworten die Homosexuellen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die Kirche ist zu einem Schrumpfchristentum degeneriert, zu einem vor Frauen geschützten Junggesellenreservat, in das nur noch die Jungfrau Maria Zutritt hat. Für eine Erweiterung der Hirtenhorizonte zu einem Blick für die wirkliche Welt, für eine Welt nämlich voller Männer und Frauen, könnten die Frauen den Kirchenmännern behilflich sein – wenn man sie nur ließe.

UTA RANKE-HEINEMANN

NEIN

Die Meisners sind kein unabwendbares Verhängnis. Und dass der Heilige Geist bei der kirchlichen Personalfindung immer das Sagen habe, glaubt er selbst am wenigsten, und dass Katholiken untertänige Dumpfbacken seien, die sich demütig alles gefallen lassen, wenn‘s nur von oben kommt, kann mir auch niemand mehr weismachen. Die Entscheidung von 1989, den Kölner Bischofsstuhl mit einem schlesischen Marienschwärmer zu besetzen, war menschliches Versagen. Bis zum Erweis des Gegenteils werde ich hoffen, dass Benedikt XVI. demnächst eine weisere Entscheidung treffen wird als sein Vorgänger. Er hat den Verstand dazu und kann nicht wollen, dass der christliche Glaube derart unter Wert verkauft wird. Irgendwo in Deutschland muss es einen Seelsorger geben, für den Gott kein römisch-katholischer Hausmeister ist, dem das Evangelium mehr bedeutet als die Satzung eines Trachtenvereins zum Schutz religiöser Gefühle und der den christlichen Glauben nicht zur Ideologie verkümmern lässt. Gott und die Kölner haben besseres verdient.

Ob sich durch einen Nachfolger Wesentliches ändern wird, weiß ich nicht; dass sich aber – auch in einem undemokratisch strukturierten Machtapparat – etwas ändern kann, lasse ich mir nicht ausreden.

Schon jetzt ist vieles in Bewegung. Immer mehr Menschen kündigen dem „System Meisner“ die Gefolgschaft auf. Jeder neue bischöfliche Gewaltakt schärft und weitet das Bewusstsein. Auch die „Gut-Katholischen“ fühlen allmählich heiligen Zorn, wenn ihnen elementare Menschenrechte verweigert werden, wenn angesehene Pfarrer bedrängt und bedroht werden, wenn sie auf bischöfliche Anordnung einen weltweit hoch verehrten Bischof wie etwa Jacques Gaillot als Aussätzigen behandeln sollen. Die Kölner werden auf Dauer nicht hinnehmen, dass ihre Stadt zum Sammelbecken fundamentalistischer Gruppen wird.

Die Maßstäbe werden wieder klar, und hier liegt der Kern meiner Zuversicht: Die stärksten Argumente kommen aus dem Innern des christlichen Glaubens. Jesus hat nie vom „guten Wachhund“ gesprochen, sondern nur vom „guten Hirten“. Der verkehrt mit öffentlichen Sündern, Kranken und Ausgestoßenen und ermöglicht ihnen kleine Auferstehungen. Der schleicht sich nicht mit schiefen Metaphern und aseptischen Prinzipien aus der Verantwortung. Der hat eine Ahnung von den Spannungen und Widersprüchen des Lebens. Er verbietet die Probleme nicht, sondern hilft bei der Suche nach humanen Lösungen.

Die Leute lernen hinzu. Lange standen sie kopfschüttelnd vor den meisnerschen Einschlagskratern. Inzwischen wissen sie, wie man sie umgeht. Benedicamus Domino!

ULRICH HARBECKE