Wie der Verfassungsschutz seine Fälle erfindet

Kurnaz habe einen Taliban-Einsatz angekündigt, schrieb der Bremer Verfassungsschutz 2005. Belege hatte er keine

Der Verfassungsschutz handelt unter strengster Geheimhaltung, umso wichtiger ist die Frage, wie vertrauenswürdig der Umgang der Geheim-Männer mit ihren Informationen ist. Im Falle des Guantánamo-Gefangenen Murat Kurnaz lässt ein Papier daran erhebliche Zweifel aufkommen. Verfasst hat es der Leiter des Bremer Amtes für Verfassungsschutz (VS), Walter Wilhelm, am 16. Dezember 2005. Während der Verfassungsschutz – auch Wilhelm selbst – nach dem Besuch deutscher Agenten in Guantánamo Ende 2002 davon ausging, dass Kurnaz sehr fromm, aber keineswegs terrorismusverdächtig sei, erfand Wilhelm eine lupenreine Terror-Karriere.

„Kampfbereit“ soll Kurnaz gemacht worden sein. In „mehreren telefonischen Kontakten“ im Herbst 2001 habe Kurnaz aus Pakistan den Vorbeter der Abu Bakr Moschee über seinen Einsatz bei den Taliban informiert. Die Nachricht wäre eine Sensation – wenn sie stimmen würde.

Es wäre zudem unverständlich, warum auch amerikanische Stellen 2002 zu dem Ergebnis gekommen sind, dass Kurnaz nichts Handfestes vorzuwerfen sei. Noch merkwürdiger, wieso der Bremer VS-Chef 2005 Informationen aus dem Jahre 2001 hatte, die er vorher nicht hatte. Merkwürdig auch, dass der Verfassungsschutz bei der Abu Bakr Moschee viel frommen Islamismus gefunden hat – aber keinen heißen Draht zu den Taliban.

Auch der Zeitpunkt des Briefes macht stutzig. Dezember 2005 – das waren die Tage, in denen der Bremer Innensenator den Prozess wegen Entzugs der Aufenthaltsgenehmigung von Kurnaz verloren hatte. Thomas Röwekamp suchte händeringend nach Indizien, um Kurnaz’ drohende Einreise bei einer Freilassung verhindern zu können. Das Papier des Bremer Verfassungsschutzleiters hätte dabei behilflich sein können.

Das Papier hätte, wenn der CIA es ernst genommen hätte, die Freilassung von Kurnaz blockieren können. Röwekamp benutzte damals diese heiße Information nicht einmal, um die Aufenthaltsberechtigung in Bremen anzufechten. Wilhelm selbst hatte über seine Muster-Indoktrination die verräterischen Worte geschrieben: „nicht unmittelbar beweisbar“.

Offenbar waren die, die damals das Wilhelm-Papier bekamen, der Ansicht, dass hier die Phantasie mit dem Bremer Verfassungsschutz-Chef durchgegangen war. Klaus Wolschner