Belastungstests für alle Atomkraftwerke

REAKTIONEN Die Schweiz setzt den Neubau von AKWs aus, Österreich fordert einen europaweiten Stresstest und Indien überprüft die Sicherheit seiner Anlagen. Nur die Atomnation Frankreich versucht zu mauern

PARIS taz | Mit 58 Atomreaktoren ist Frankreich nach den USA mit 110 und vor Japan mit 55 der größte Nuklearstromproduzent der Welt. Die elektrische Energie in Frankreich stammt heute zu 80 Prozent aus AKWs. Ähnlich wie in Japan sind die meisten Anlagen seit dreißig Jahren in Betrieb, das älteste in Fessenheim sogar seit 1977. Es war daher nicht erstaunlich, dass vor allem die Atomkraftgegner sofort verlangten, dass Frankreich die Konsequenzen aus der Katastrophe in Japan ziehe müsse. Der Grüne Daniel Cohn-Bendit fordert eine Volksabstimmung über die Atomenergie. Diese könnte seiner Meinung nach zum Abschluss einer Debatte in zwei bis drei Jahren stattfinden.

Premierminister François Fillon warnte dagegen vor voreiligen Konsequenzen, er versicherte, Frankreich habe stets „beim Bau und Betrieb (nuklearer Anlagen) maximalen Sicherheitsnormen die Priorität eingeräumt“. Industrieminister Eric Besson kritisierte die Reaktion der Atomgegner als „sektiererisch“.

Nach dem Erdbeben von Aquila in Italien hatte die nationale Katastrophenschutzbehörde verlangt, dass die französischen AKWs seismische Risiken verstärkt beachten müssten. Mindestens Anlagen wie Fessenheim oder das Versuchszentrum von Cadarache liegen in bekannten seismisch aktiven Zonen. Im Dezember stand nach eine Überschwemmung das AKW Blayais in der Gironde teilweise unter Wasser und mehrere für die Sicherheit nötige Kreisläufe waren außer Betrieb. Strahlenexperte Yves Marignac meinte dazu: „Was wir daraus lernen können ist, dass das Unwahrscheinliche sich ereignen kann.“

Die Schweiz hat Pläne für neue Atomkraftwerke im Land gestoppt. Bundesrätin und Energieministerin Doris Leuthard setzte am Montag Gesuche für den Ersatz und Neubau von drei Atomkraftwerken aus, bis die Sicherheitsstandards in bestehenden Anlagen überprüft worden seien. Geplant waren der Neubau eines Meilers im Kanton Solothurn und zweier Ersatzwerke in den Kantonen Aargau und Bern.

Österreich verlangt Stresstests für die europäischen Meiler. Solche Sicherheitsüberprüfungen müssten schnell stattfinden, sagte der österreichische Umweltminister Nikolaus Berlakovich am Montag in Brüssel. Zum Schutz der Bevölkerung müsse etwa geklärt werden, ob die europäischen Atomkraftwerke erdbebensicher seien und wie die Kühlsysteme ihrer Reaktoren funktionierten.

Österreich lehnt Atomenergie strikt ab und hatte die Entscheidung Deutschlands zur Laufzeitverlängerung der 17 deutschen Meiler kritisiert. Österreichische Umweltschützer fordern die Stilllegung der Atomkraftwerke in Slowenien und der Slowakei.

Indien hat die sofortige Überprüfung der Sicherheitssysteme aller AKWs angeordnet. Nukleare Sicherheit habe für die Regierung die höchste Priorität, sagte Premierminister Manmohan Singh am Montag im Parlament in Neu-Delhi. Die indischen Reaktoren haben eine Gesamtleistung von 4.780 Megawatt (4,78 Gigawatt). Unter den 20 indischen Meilern sind zwei Siedewasserreaktoren wie die, die im japanischen Fukushima havarierten. Indien will die Atomkraft bis 2032 auf eine Gesamtleistung von 63 Gigawatt ausbauen.

RUDOLF BALMER (mit dpa und dapd)