Frauen im November

Wenn der intellektuell fundierte Anbalzversuch gründlich in die Hose geht

Der Gottesbeweis eines Anselm von Canterbury – das zieht bei einer klasse Frau

Manchmal geht mir meine Feinsinnigkeit regelrecht auf die Nerven. Zu viel Feinsinn kann auch stören! So viel den Nachgeborenen ins Stammbuch oder Poesiealbum oder was auch immer.

Aktueller Fall. Ich mit der Neuen, also mit der damals Neuen im Kaufhof. Was haben wir uns aufgeregt wegen der Christstollen! Ich hätte um ein Haar einen männlichen Durchbruch gehabt und einen dieser Stollen bis zu den Cerealien gepfeffert, dass es nur so gerauscht hätte im Kaufhof. Muss doch auch nicht sein. Christstollen und Nikoläuse im November. Ilke, das ist … – oder besser: war die Avisierte, und ich waren einer Meinung. Aber so was von einer Meinung, ich war mir ganz sicher, das wird was mit Ilke.

Sie hat mir gleich gefallen mit ihren schlanken Fesseln. Ich stehe ungeheuer auf schlanke Fesseln. Alles andere ist nicht so wichtig. Aber schlanke Fesseln muss sie haben. Das hat Klasse. Führt kein Weg daran vorbei. Und Ilkes Fesseln waren oder sind trotz einer leichten Adipositas so was von schlank.

Trotzdem war ich mir nicht ganz sicher mit Ilke. Sie war so schwer einzuschätzen. Hinsichtlich ihrer Präferenzen.Was will die? Auf was steht die? Und jetzt im Kaufhof inmitten der Christstollen waren wir das erste Mal richtig auf einer Wellenlänge. Außerdem hatte ich in einer Sekunde das Gefühl: Die Frau hat wirkliche Klasse! Nicht nur wegen der Fesseln, auch wegen der Cerealien. Das kam nämlich von ihr: „Hau das Stollen-Ding doch in die Cerealien!“ Ich bin nämlich nicht nur auf schlanke Fesseln aus. Ich finde auch, dass eine Frau Bildung haben sollte. Ich find es extrem gut, wenn Frauen mit schlanken Fesseln, komplizierte Wörter sagen. „Cerealien“ zum Beispiel. Müsli kann jeder sagen. „Cerealien“, das hat Klasse.

Ich fühlte sofort diese heiße Woge in mir aufsteigen, die da signalisiert: Es hat eingeschlagen. Die Frau musst du haben. Den Augenblick musst du nutzen. Und da bin ich auf die Idee mit Anselm von Canterbury gekommen. Schließlich hat man studiert. Also nicht ganz und nicht fertig, aber immerhin. Ich fand die Idee jedenfalls frappierend: Hier der Warenhölle Kaufmarkt, Inbegriff profaner Dumpfheit. Und dann ich mit Anselm von Canterbury. Gottesbeweis. Da geht eigentlich nichts drüber. Das ist Poesie!

Ich sah mich wie im Zentrum einer Ballhaus’schen Kamerafahrt. Michael Ballhaus – immer rund herum und ich mit Ilke mitten drin. Und dann: „Wenn das Nichtsein dessen, über das hinaus nichts Vollkommeneres gedacht werden kann, denkbar wäre, so ist es eben nicht das, über das hinaus nichts Vollkommeneres denkbar wäre. Und das ist ein Widerspruch.“ Und sie würde stumpfe Augen und einen schlaffen Kiefer bekommen, wie es halt so ist, wenn sie reif sind.

Ich öffnete schon den Mund, da wurde ich unsicher. Wie sollte ich das Ganze einleiten. „Wenn ich diesen Christstollen sehe, da fällt mir immer der Gottesbeweis von Anselm von Canterbury ein …“? Nee, das geht nicht. Das zieht bei einer Frau mit wirklicher Klasse nicht. Dann schon eher: „Wodurch das Gute gut ist.“ Das würde passen. Witzig und doch ein gerüttelt Maß an Bildung signalisierend, ohne mit dem Bildungsbürgerzaunpfahl zu winken.

Ich wartete also, bis sich im Laufe des weiteren Einkaufsgeschehens irgendwas mit „gut“ ergeben würde. Im Laufe eines Einkaufsgeschehens ergibt sich immer was mit gut oder weniger gut. So war es auch. Der Kamillentee. „Ich nehm immer den von Teekanne, da können alle sagen, was sie wollen, der ist gut!“ Mein Einsatz. Ich bemühte mich beiläufig, aber verständlich zu sprechen. Um die Poesie des Augenblickes genießen zu können, müsste sie jedes Wort verstehen, ohne dass ich deklamierend rüberkommen sollte. Also laut, aber beiläufig: „Wer zweifelt daran, dass das, durch das alles gut ist, selbst gut sein müsste?“ Ilke bloß: „Hä?“ Ich schob nach: „Es ist deshalb allein im höchsten Grade gut, was durch sich selbst gut ist … – Anselm von Canterbury ist mir grade so eingefallen.“ Sie sah mich tatsächlich stumpf an, dann hob sie das Päckchen mit dem Kamillentee: „Na gut. Willst du auch?“ Ich schüttelte den Kopf und seitdem haben wir uns nicht mehr gesehen. ALBERT HEFELE