Ein Tibeter, der die Fahne hoch hält

Vielleicht waren die indischen Behörden ja nur um Tenzin Tsundues Gesundheit besorgt. Schließlich greifen manche Exiltibeter zu drastischen Aktionen, um gegen die chinesische Besetzung ihrer Heimat zu protestieren. Ein Aktivist zündete sich diese Woche in Delhi selbst an, um gegen den Besuch des chinesischen Präsidenten Hu Jintao zu protestieren.

Wer Tenzin Tsundue persönlich trifft, kann sich nicht vorstellen, dass er sich selbst oder andere bedrohen könnte. Doch auf Anordnung des Polizeioberinspektors des indischen Bundesstaates Himachal Pradesh darf der unscheinbare 33-Jährige seit zwei Wochen seinen Wohnort Dharamsala – Sitz der tibetischen Exilregierung – nicht verlassen. Polizisten verfolgen jeden seiner Schritte. Er soll während des Besuchs des chinesischen Präsidenten in dieser Woche Protestaktionen geplant haben.

Offensichtlich wurde Tenzin Tsundue auf Druck der chinesischen Regierung für die Zeit des Staatsbesuchs mundtot gemacht. International bekannt ist er seit 2002, als er im südindischen Bangalore dem dort weilenden chinesischen Premier Zhu Rongji einen Besuch abstattete. Tenzin Tsundue kletterte über eine Feuerleiter bis zum Hotelfenster des hochrangigen Gastes und hisste im 14. Stock ein „Free Tibet“-Banner. Als Mitbegründer der 1999 gegründeten NGO Friends of Tibet macht er auf die Menschenrechtsverletzungen der Chinesen in Tibet aufmerksam.

In Gedichten, Essays und Reportagen berichtet er von seinen Erfahrungen. Auch vom ersten Ausflug nach Tibet, das er vor neun Jahren über die wenig kontrollierte Grenze von Ladkah erreichte. Tenzin wollte endlich die Heimat kennenlernen. Doch der Ausflug endete im Gefängnis in Lhasa. Drei Monate wurde er verhört und gefoltert, dann verwiesen ihn die Chinesen des Landes. Sie behaupteten, dass er ja sowieso ein Inder sei und wieder nach Hause gehen solle.

Sein Heimatland kannte er bis dahin nur aus dem Fernsehen und den Erzählungen seiner Eltern, die als Jugendliche aus Tibet geflohen waren und später in Nordindien Straßen bauen halfen. In einem Zelt am Straßenrand geboren, wuchs er in verschiedenen exiltibetischen Flüchtlingslagern auf, ging auf exiltibetische Schulen, studierte später in Bombay Literatur. Tenzin Tsundue beschreibt sich selbst als stoisch und unnachgiebig. Im Gegensatz zum Dalai Lama, der mit der Autonomie Tibets eine einvernehmliche Lösung mit den Chinesen anstrebt, gibt es für Tenzin Tsundue nur ein Ziel – die Unabhängigkeit. Und er hat geschworen, dass er die rote Stirnbinde, sein Markenzeichen, erst ablegen wird, wenn Tibet als unabhängiges Land anerkannt ist. SUSAN WEBER