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Von Rache, Trauer, Liebe

HIPPEN EMPFIEHLT Susanne Bier erzählt in ihrem gerade mit dem Oscar prämierten Film „In einer besseren Welt“ davon, wie schwer es ist, in der realen Welt das Richtige zu tun

Bier behandelt so viele komplexe moralische, politische und spirituelle Fragen, dass „In einer besseren Welt“ eigentlich heillos überfrachtet sein müsste

VON WILFRIED HIPPEN

In Afrika ist die Welt für Anton noch in Ordnung. Als Arzt rettete er dort mehrere Monate im Jahr in einem Flüchtlingscamp Menschenleben. Alle mögen ihn – er tut Gutes und ist mit sich im Reinen. Die Probleme erwarten ihn in der idyllischen dänischen Provinz, wo sich seine Frau von ihm scheiden lassen will und sein Sohn Elias in der Schule gemobbt wird. Der Zwölfjährige schließt Freundschaft mit dem gleichaltrigen Christian, der den plötzlichen Krebstod seiner Mutter nicht verwinden kann und seinem Vater die Schuld dafür gibt. Die beiden sind schnell verschworene Freunde und dabei stellt sich bald heraus, dass Christian voller Wut ist, die er mit erschreckender Brutalität in Gewaltexzessen auslebt. Die beiden geraten immer tiefer in ein gefährliches Spiel, bei dem es schließlich um Leben und Tod geht.

Der Originaltitel „Haevnen“ lässt sich in „Rache“ übersetzten und trifft den Kern des Films viel besser, denn tatsächlich geht es dabei auf den verschiedenen Ebenen des Films um den Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Vergeltung. Der in der Schule schikanierte Junge will es seinen Peinigern heimzahlen, die Flüchtlinge in Afrika wollen den Warlord, der sie in ihr Elend gestürzt hat, mit bloßen Händen umbringen, der Sohn gibt dem Vater die Schuld am Tod seiner Mutter und lässt ihn dafür mit jeder Geste seine Verachtung spüren.

Susanne Bier verknüpft meisterlich die Geschichten der beiden Familien und zeigt dabei, wie schwierig es ist, das Richtige zu tun. Sie erzählt von Verlust und Trauer, Ohnmacht und Wut, Gewalt und Vergebung. In einer Szene werden etwa die beiden Jungen Zeuge einer Auseinandersetzung zwischen Anton und einem Schlägertypen, der unbedingt einen Kampf provozieren will und Anton demütigt. Dessen pazifistische Haltung wird von den Jugendlichen als Feigheit angesehen, dabei erleben sie einen geradezu heroischen Akt der Selbstbeherrschung. In solchen Szenen geht der Film sehr tief und Bier behandelt in ihm so viele komplexe moralische, politische und spirituelle Fragen, dass „In einer besseren Welt“ eigentlich heillos überfrachtet sein müsste. Doch hier wird so fantasiereich und spannend erzählt, dass man immer tiefer in die Geschichte hineingezogen wird, denn es gelingt Bier, jede Figur als einen komplexen und faszinierenden Charakter zu entwickeln.

Die dänische Filmemacherin Susanne Bier hatte auch ihren Film „Brothers“ (dessen Hollywood-Remake gerade in den Kinos lief) in zwei Kontinenten angesiedelt. Der ständige Wechsel zwischen Afrika und Europa sorgt hier nicht nur für attraktive Drehorte. Denn letztlich muss Anton in Afrika die gleichen moralischen Entscheidungen treffen wie zu Hause. Soll er den verwundeten Bandenführer, der an dem Elend der Flüchtlinge im Camp verantwortlich ist, behandeln oder sterben lassen?

Während der Film inhaltlich von Konflikten und dramatischen Verwicklungen überzuschäumen scheint, ist er stilistisch eher ruhig und nüchtern. Trotz der sensiblen Nahaufnahmen bei den Dialogen hält die Kamera immer eine diskrete Distanz. Bier will nicht mit ihren Bildern überwältigen, sondern gibt statt dessen dem Zuschauer Raum, über das Gesehen zu reflektieren. „In einer besseren Welt“ ist gerade mit dem Oscar für den besten nicht englischsprachigen Film ausgezeichnet worden. Damit ist ein nachdenkliches Kino prämiert worden, das keine einfachen Antworten liefert, sich aber auch nicht zu sehr im Elend der Welt suhlt, wie dies etwa Alejandro González Inárritu in „Biutiful“ tut, der ebenfalls für den Oscar nominiert war und in den Kinos gezeigt wird.

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