bahnhofsurteil
: Die Ästhetik des Widerstands

Es hat etwas Faszinierendes. Einen Hauch von Schönheit. Eine funkelnde Klarheit durchstrahlt das überraschende Urteil zugunsten des Architekten Meinhard von Gerkan. Selbst bei einem 700-Millionen-Projekt wie dem neuen Hauptbahnhof, so befanden die Richter, darf nicht allein der schnöde Mammon zählen. Die wirtschaftlichen Interessen eines Großkonzerns und Investors wie der Bahn AG müssen hinter dem schöpferischem Geist eines Architekten zurückstehen.

KOMMENTAR VON GEREON ASMUTH

Natürlich kann es dem Fahrgast eigentlich egal sein, ob er nun unter einem schnöden Blechdach oder unter einem kathedralen Gewölbe auf seinen Zug wartet. Schließlich gilt der Hauptbahnhof als gelungenes Werk. Doch je länger der Zug auf sich warten lässt, desto mehr fällt die tieferliegende Strahlkraft dieses Urteils in Auge.

Denn der neue Hauptbahnhof ist nicht gelungen, weil ein beherzter Bahnchef hier eine fantastische Vision verwirklicht hat. Sondern er ist gerade noch akzeptabel, obwohl ein Banause in der Chefetage die visionäre Architektur beinahe kaputtgespart hat.

Hartmut Mehdorn gilt als der Rumpelfüßler unter den Konzernchefs. Als kommunikationsunfähiger Despot, der glaubt, sein Unternehmen wie einen ICE-Sprinter führen zu können, dem sich niemand in den Weg zu stellen traut. Ganz egal, ob der oberste Lokomotivführer mal eben einen überdimensionierten Bahnhof Südkreuz in die Pampa stellen lässt, einen Bahnhof Zoo zum Bimmelbahnhof degradiert oder am liebsten gleich mit dem ganzen Konzern nach Hamburg davonzuckelt.

Erst die Ästhetik des Widerstands gegen diesen abgehobenen Wirtschaftsmagnaten verleiht dem Urteil seine wahre Schönheit.