Kein Kinderschlecken

Tschüß, Super-Nanny – hallo, Britney Spears: Die Dokusoap „Teenager außer Kontrolle“ (20.15 Uhr, RTL) bietet grotesk unterhaltsame Krawallpädagogik

Von Hannah Pilarczyk

Ist das noch Voyeurismus? Nüchtern erzählt die Mutter des 17-jährigen Marvin, wie ihr Sohn eines Abends mit einer Gaspistole zu Hause auftaucht und anfängt, vom Balkon aus zu schießen. „Irgendwann landete die Pistole dann an meiner Schläfe, und ich kriegte einen furchtbar blauen Fleck. Den ganzen Tag danach lief ich mit solcher Angst herum, was mich abends zu Hause erwarten könnte. Das Ergebnis: Herzinfarkt.“

Nein, was RTL mit seiner siebenteiligen Dokusoap „Teenager außer Kontrolle – Letzter Ausweg Wilder Westen“ bietet, grenzt nicht ans Groteske – es geht weit darüber hinaus. Sechs Jugendliche hat der Sender für zwei Monate auf eine Umerziehungsranch in den US-Staat Utah geschickt. Als „Vanessa, 17, Trinkerin“ oder „Daniel, 14, Mutterhasser“ werden die Kandidaten per Einblendung vorgestellt. Oder gleich selbst von den Eltern gebrandmarkt. „Ich bin die Lebensgefährtin von Gerrits Vater“, stellt sich die eine Frau vor. „Ich bin die Mutter von Gerrit“, sekundiert die zweite. Dann fährt ihr Zeigefinger auf den im Hintergrund sitzenden Jungen aus: „Und das ist Gerrit, unser Problemkind.“

Tatsächlich sind die Probleme der Jugendlichen nicht wenige: Diebstahl, Prügeleien, Drogen- und Alkoholmissbrauch gehen auf ihre Konten. Doch statt in solchen Fällen die „Super-Nanny“ loszuschicken, verschickt RTL diesmal die Kinder selbst – denn wo bei der „Super-Nanny“ noch die gesamte Familie als Beratungsfall erkannt und gemeinsam nach Umgangsregeln gesucht wurde, sind es bei „Teenager außer Kontrolle“ nur noch die Kinder, die für allen Ärger verantwortlich sind. Auf sie wartet in den USA die Deutschamerikanerin Annegret Noble, laut RTL-Pressemitteilung sowohl „lizensierte Familien- und Eheberatungstherapeutin“ als auch „Gesprächstherapeteutin“ (!).

In Annegrets Wirkungsbereich, der Turn About Ranch, müssen die Teenager vier Phasen durchlaufen. Am Anfang des Turn-About-Programms steht die Woche der Wahrheit, in der die Kinder nur sprechen dürfen, wenn es ihnen ein Betreuer erlaubt; danach folgt viel körperliche Arbeit unter freiem Himmel; und am Ende dann möglichst die Läuterung mit „neuem Selbstwertgefühl“ und „positiver Lebensperspektive“.

Ernst zu nehmende Pädagogik bietet das Format nicht, dafür wortwörtlich furchtbar gute Unterhaltung. „Teenager außer Kontrolle“ funktioniert nämlich wie ein US-Highschool-Drama: Den Außenseitern wird so lange vorgeführt, wie sehr sich Konformismus bezahlt macht, bis sie es selbst glauben. Kein „Frühstücksclub“, der seine Stärke im Anderssein entdeckt, sondern „Eine wie keine“ mit der Moral von der Geschicht’: Auch ohne Irokesen-Schnitt und kaputte Jeans kannst du ein wertvoller Mensch sein. Und so kommt gleich am Anfang eine Krankenschwester auf die Ranch, um den Mädchen ihre Zungenpiercings zu entfernen.

Letztlich durchleben die RTL-Teenies das, was die Boulevardöffentlichkeit auch an den Dramen um Stars wie Britney Spears oder Lindsay Lohan liebt: Erst delektiert man sich an deren Exzessen und Absturz, dann erfreut man sich an den Erniedrigungen, die Entzug und Unterwerfung unter den Mainstream-Geschmack mit sich bringen.

Die bizarre Qualität des Formats bringt aber am besten Simon („17, Dauerkiffer“) auf den Punkt. In der ersten Nacht auf der Ranch sagt er: „Das wird kein Kinderschlecken.“