Kafka auf Reisen

Man denkt ihn sich auf ewig an den Schreibtisch gefesselt, aber nein, Ausflügehat er gemacht. Fotografien auf Kafkas Spuren stellt das Tschechische Zentrum vor

Tagsüber arbeitete er als Versicherungsbeamter, nachts schrieb er an seinen Erzählungen und Romanen. Das gängige Kafka-Bild vermittelt den Eindruck, der Autor habe sein kurzes Leben sesshaft am Schreibtisch verbracht, doch tatsächlich ist er für seine Zeit recht weit herumgekommen. Von Norderney bis nach Norditalien fuhr er manchmal in dienstlichem Auftrag, manchmal zu einem Kuraufenthalt, oft aber aus reiner Lust am Reisen. Er weilte in Ostseebädern, schaute sich europäische Metropolen an und nahm mehrere Anläufe, in Berlin sesshaft zu werden.

Der tschechische Fotograf Jan Jindra, 1962 in Prag geboren, verfolgte Kafkas Wege durch Europa und machte vor Ort Aufnahmen, die motivisch von Kafkas Texten inspiriert sind. Sein Fokus liegt durchgängig auf architektonischen Motiven, die in Kafkas Werk so häufig auftauchen: eine verschlossene Tür am Haus der unglücklichen Verlobten Felice Bauer in Berlin, das kleine Fenster von Kafkas Arbeitszimmer in Prag, gesehen durch wucherndes Gestrüpp. Etwas Strenges, gotisch Düsternes haftet seinen Fotografien an, die jegliche moderne Elemente ausblenden. Selbst die Spree an der Jannowitzbrücke sieht aus, als fließe sie durch das Prag der Jahrhundertwende. Menschen tauchen höchstens als Schatten oder flüchtige Schemen auf.

Ohne den Kafka-Bezug wären Jindras Fotografien gut gemachte, aber nicht sonderlich einfallsreiche Kalenderbilder mit nostalgischem Flair. Das zeigt zum Beispiel sein Blick auf die Prager Burg, deren Umrisse hinter einer regennassen Fensterscheibe verschwimmen; davor zeichnet sich scharf das verschnörkelte Dach der Assicurazioni Generali ab, wo Kafka seine erste Stelle als Beamter antrat. Selbst mit Kafka tendiert die Wahl der Motive ins Plakative.

Interessant für biografisch interessierte Kafka-Leser sind diejenigen Objekte, die er bei seiner literarischen Arbeit vor dem Auge gehabt haben könnte. Die Prager Hungermauer etwa, die sich hell einen bewaldeten Hügel hochzieht, ist vermutlich als Motiv in die Erzählung „Vom Bau der chinesischen Mauer“ eingegangen. Und das Friedländer Schloss, ein häufiges Ausflugsziel Kafkas, weist mit seiner unübersichtlichen Verwinkelung, den efeuberankten Mauern und langen Treppen auf das gleichnamige Romanfragment. Und doch bleibt fraglich, ob solche Illustrationen, die durchgängig einer Ästhetik der Vergangenheit verbunden sind, der Zeitlosigkeit von Kafkas Texten entsprechen.

Ein kleiner Teil der Bilder befindet sich im Foyer des tschechischen Zentrums; der Hauptteil hängt 500 Meter weiter im Kleisthaus. Dort werden Besucher durch Sicherheitsglas aufgefordert, ihren Personalausweis abzugeben, statt einer Eintrittskarte erhalten sie durch eine Klappe einen Nummernzettel mit deutschem Banner zugeschoben. Über drei Stockwerke verteilt finden sich die Fotografien in den Korridoren, wo Beamte der Bundesregierung ihre Büros haben. Ab und zu huscht jemand vorbei, und mit langem Nachhall fallen die Türen ins Schloss. Das passt unfreiwillig gut, denn atmosphärisch rufen die Räume unweigerlich Kafkas Schilderung von solch bürokratisch geprägten Durchgangsorten hervor, womit nun auch das letzte Kafka-Klischee genannt worden wäre. IRENE GRÜTER

„Wege des Franz K.“ Tschechisches Zentrum, Friedrichstr. 206, Mo. 14–18, Di.–Fr. 10–13, 14–18 Uhr, und im Kleisthaus, Mauerstraße 53, Mo.–Fr. 9–18 Uhr, bis 16. März