„Patienten können Zeit gewinnen“

Einigen Schwerstabhängigen könne mit verabreichtem Heroin geholfen werden, vom Beschaffungsstress loszukommen, sagt Bernd Westermann von der Ambulanz für Integrierte Drogenhilfe. Aber das allein reiche nicht

taz: Herr Westermann, worin liegt der Unterschied zwischen Methadon und Heroin hinsichtlich der Wirkungsweise?

Bernd Westermann: Methadon und Heroin docken an denselben Rezeptoren im Hirn an. Beide verhindern daher Entzugserscheinungen. Heroin ist im Gegensatz zu Methadon jedoch eine psychoaktive Substanz, die den Süchtigen für die Dauer der Wirkung ein Gefühl von Sicherheit, Geborgenheit und auch Euphorie vermittelt. Wenn dieser „Kick“ fehlt, weil mit Methadon substituiert wird, greifen viele Abhängige parallel zu unreinem Heroin von der Straße oder zu Substanzen wie Kokain, Alkohol oder Pillen. So bleiben sie Gefangene ihrer Abhängigkeit mit allen damit verbundenen gesundheitlichen und sozialen Risiken.

Reicht es denn aus, in der Behandlung von Schwerstabhängigen synthetisch hergestelltes Heroin, also Diamorphin, einzusetzen?

Man muss klarstellen, dass Diamorphin nicht die Behandlung selbst ist, sondern nur ein weiteres Medikament im Kampf gegen die Sucht. Mit keiner Substanz allein wird man die Opiatabhängigkeit bekämpfen können. Aber einigen Patienten könnte mit Diamorphin geholfen werden, vom Beschaffungsstress loszukommen und so Zeit zu gewinnen, ihr Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Bildlich gesprochen, kann jeder Stoff immer nur den Teppich darstellen, auf den in der Folge dann die Möbel gestellt werden.

Welche Nachteile könnte der Einsatz von Diamorphin haben?

Das offensichtlichste Gegenargument ist wohl der Preis. Diamorphin ist deutlich teurer als Methadon. Aber auch Sicherheitsfragen werden beim Einsatz von synthetisch hergestelltem Heroin häufig gestellt. Entsprechende Ambulanzen, in denen das Diamorphin ausgegeben würde, müssten wohl besondere Sicherheitsmaßnahmen treffen, damit der dort gelagerte Stoff tatsächlich nur die Menschen erreicht, für die er bestimmt ist und bei denen der therapeutische Nutzen im Vorfeld festgestellt wurde.

Die Vorstellung, mit dem Konsum von Heroin von ebendieser Droge wegzukommen, erscheint widersinnig. Kann man denn nach so einer Therapie wirklich drogenfrei leben?

Diamorphin wird nicht in erster Linie verabreicht, um einen sofortigen Entzug zu machen. Die Planung muss bei Gabe dieses Medikaments langfristig angelegt werden. Je nach Verlauf der Behandlung kann am Ende die Substitution mit Methadon oder auch ein drogenfreies Leben stehen. Das hängt aber immer auch von der behandelten Person ab und davon, inwieweit diese in der Lage ist, die Befreiung von Druck für sich zu nutzen.

INTERVIEW: NADINE KLEBER