Ruhrgebiet schaut in die Röhre

Der Bau der Propylen-Pipeline von Rotterdam ins nördliche Ruhrgebiet ist geplatzt. Die Region verliert damit eines ihrer wichtigsten Industrieprojekte. Die SPD macht das Land verantwortlich

VON DIRK ECKERT
UND KLAUS JANSEN

Der Ministerpräsident war gerade dabei, seine Vision der Zukunft des Ruhrgebiets zu entwerfen. „Die Chemie bleibt eine wichtige Säule unserer Industrie“, sprach Jürgen Rüttgers am Tag nach dem Kohleausstieg im nordrhein-westfälischen Landtag. „Tausende von Arbeitsplätzen in der Metropolregion Ruhr“ könnten gesichert werden, wenn die Chemiestandorte Marl, Gelsenkirchen, Oberhausen, Duisburg, Moers und Köln endlich mit den Seehäfen in Antwerpen und Rotterdam verbunden seien.

Exakt zwei Wochen nach seiner Ankündigung muss Rüttgers das wohl wichtigste Industrieprojekt des nördlichen Reviers beerdigen. Vertreter der Investorengesellschaft EPDC bestätigten gestern, dass das 200 Millionen Euro teure und seit fast einem Jahrzehnt geplante Pipeline-Projekt nicht realisiert werde. Zu hoch seien die Stahlpreise, zu schwierig die Finanzierung, hieß es zur Begründung. „Der Bau ist teurer geworden, als ursprünglich geplant war“, sagte ein Sprecher der beteiligten Chemiefirma Sabic. „Propylen wird nicht mehr in der gleichen Menge gebraucht wie noch vor Jahren“, erklärte die Firma Degussa.

Für die Landespolitik ist die Absage eine bittere Enttäuschung: Sowohl die aktuelle schwarz-gelbe Koalition als auch die rot-grüne Vorgängerregierung hatten den Bau forciert. 40 Millionen Euro Zuschuss wollten sich Land und Europäische Union den Bau kosten lassen. Gescheitert ist das Projekt nun vor allem an Streitereien in der achtköpfigen Investorengruppe: Während die im Ruhrgebiet niedergelassenen Chemieunternehmen Sabic, Sosol und Celanese den Bau weiter befürworteten, rückten vor allem die am Rhein beheimateten Firmen Innoven, BASF, Shell und DSM von dem Großprojekt ab – sie können Propylen weiter per Schiff beziehen. Die endgültige Entscheidung fiel, als auch die RAG-Tochter Degussa gegen das Projekt entschied. „Wir bedauern diesen Beschluss“, hieß es bei der Sabic. Jetzt müsse das Unternehmen weiter arbeiten wie bisher – und teure Propylen-Transporte per Bahn und LKW in Kauf nehmen.

Bei einem für nächste Woche anberaumten Gespräch will NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU) die Degussa und die drei anderen verbliebenen Interessenten nun überreden, das nördliche Ruhrgebiet über eine kürzere Pipeline mit dem Rheinhafen Duisburg zu verbinden. „Für die Region müssen dieselben Bedingungen gelten wie für Standorte, die an Wasserstraßen liegen“, sagte Thoben der taz.

Die Opposition im NRW-Landtag lastet hingegen der Ministerin selbst die Schuld für die Pipeline-Pleite an. Thoben habe es durch „Untätigkeit und Unfähigkeit“ versäumt, die gute Vorarbeit von Ex-SPD-Ministerpräsident Wolfgang Clement zu nutzen und das Projekt abzuschließen, sagte SPD-Generalsekretär Michael Groschek. Die Folgen für die strategische Entwicklung des Chemiestandorts NRW seien „nicht absehbar“, die Wirkung auf potenzielle neue Investoren „katastrophal“.

Wirtschaftsexperten warnen hingegen davor, das Scheitern der Pipeline zu dramatisieren. „Damit redet man den Chemiestandort kaputt,“ sagte Franz Lehner, Direktor des Instituts für Arbeit und Technik in Gelsenkirchen. „Das ist nichts, was das Ruhrgebiet um Jahrzehnte zurückwirft.“

Versäumnisse seitens der Landesregierung sieht der Forscher nicht: „Offensichtlich sind die Unternehmen nicht in der Lage, längerfristig gemeinsam Standortentwicklung zu betreiben“, sagt er. Zwar sei die Pipline ein „interessantes Projekt“ gewesen – Arbeitsplätze werde das Scheitern aber voraussichtlich nicht kosten: „Die Unternehmen werden andere Lösungen finden.“