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NINA APIN LEUCHTEN DER MENSCHHEITAnatomie der modernen Kleinfamilie

Jede Zeit hat die Elternratgeber, die sie verdient. In den 1970er und 1980er Jahren hatten auf der praktischen Ebene Ansätze zur De-Autorisierung des Eltern-Kind-Verhältnisses Konjunktur, wie sie der „Summerhill“-Schulgründer A. S. Neill verfasste. In der Theorie suchte man Alternativen zur bürgerlichen Kleinfamilie – offene Beziehung, Kommune, schwul-lesbisch. Bloß nicht in die Vater-Mutter-Kind-Falle tappen, diesen Hort des konservativen Spießertums.

Heute geht theoretisch alles, vom polyamourösen Haushalt bis zur Zwei-Väter-Kind-Familie. In der Praxis gilt die Heterokleinfamilie weiter als Norm. Den Markt dominieren Bücher, die erklären, wie Eltern sich und den Nachwuchs für die neoliberale Gesellschaft „fit machen“ können. Eine Ausnahme unter den Ratgebern ist der dänische Familientherapeut Jesper Juul. Dass seine Bücher zu Bestsellern geworden sind, liegt daran, dass er den Individualismus der Gegenwart mit der Pädagogikallergie von 1968 verbindet.

Die Familie sieht Juul als Team, Kinder als gleichberechtigte Individuen, von Disziplinierung hält er wenig. Juuls neues Buch „Elterncoaching“ dokumentiert 18 Gespräche mit Familien, die er im Auftrag einer schwedischen Elternzeitschrift führte. Es geht etwa um eine Achtjährige, die alle mit Wutanfällen terrorisiert, einen Fünfjährigen, der in die Hosen macht, ein Paar, das sich voneinander entfernt hat. Alltägliche Probleme, unspektakuläre Lösungen: In Gesprächsprotokollen kann man verfolgen, wie Juul im Beisein der Kinder so lange nachfragt, bis die wirklichen Probleme ans Licht kommen – die der Eltern. Kinder haben ein Recht darauf, mit Menschen zusammen zu leben, nicht mit Elterndarstellern, so Juuls Credo.

Seine Tipps: Offen reden, Pädagogiktricks meiden. Rezepte sind das nicht, nur Einblicke in das Wesen der modernen Kleinfamilie. Die ist, was man draus macht. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Die Autorin ist Redakteurin der taz Foto: Archiv

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