Schädigende Schlafdefizite

Mangelnder Schlaf macht nicht nur unzufrieden und führt zu falschen Entscheidungen, auch die Gesundheit leidet darunter. Doch regelmäßiges Ausschlafen allein genügt noch nicht, um gesund zu bleiben. Entscheidend ist die Qualität des Schlafes

In modernen Gesellschaften wird einwachsender Trend zur Schläfrigkeit beobachtet

VON HENRI GABRIEL

Seit 14 Stunden sitzt der Fahrer hinter dem Steuer seines voll beladenen Lastwagens. Als ihm in einer Kurve die Augen zufallen, verliert er die Kontrolle über das schwere Fahrzeug.

Schläfrigkeit am Steuer ist ursächlich für 25 Prozent aller Unfälle auf unseren Straßen. Der Sekundenschlaf raubt erschreckend vielen Menschen das Leben. Neben der hohen jährlichen Todesrate trifft ökonomischer Schaden die Betroffenen und die Gesellschaft als Ganzes. Schlaferziehung und prophylaktische Strategien zur Vermeidung von Schlafstörungen sind gefragt. „Power-Napping“, der kurze Nachmittagsschlaf, könnte, in großem Stile eingeführt, dazu beitragen, beträchtlichen volkswirtschaftlichen Schaden abzuwenden.

In modernen Gesellschaften wird ein wachsender Trend zur Schläfrigkeit beobachtet. Schlaf ist eine Hirnfunktion. Schlafsymptomatische Beschwerden erscheinen mit einer Vielfalt von Symptomen, die den Wachzustand wie auch den Nachtzeitschlaf beeinflussen und während der Krankheitsdauer fluktuieren.

Die gut erforschten Felder umfassen unter anderem Schnarchen, Schlaflosigkeit, Tagesmüdigkeit, verursacht durch Schichtarbeit und Stress, nächtliche Schlafunterbrechungen, hyperaktive Unruhe, REM-Schlafverhaltensstörung und Narkolepsie, eine exzessive Tagesschläfrigkeit begleitet von Apathie und Depressionen. Die daraus abzuleitende verminderte Lebensqualität äußert sich bei den Betroffenen in reduzierter Leistungsfähigkeit, verminderter sozialer Interaktion, eingeschränktem Selbstwertgefühl und gefühltem Verlust von Selbstrespekt.

Die Weltgesellschaft für Schlafmedizin WASM (World Association of Sleep Medicine), ein von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anerkannter internationaler Zusammenschluss von Schlafexperten, ist aktiv auf dem Gebiet der Schlafmedizin tätig mit dem Ziel, zur globalen Verbreitung von Wissen über verbesserte Diagnostiken zur Behandlung von Schlafstörungen und deren Vermeidung beizutragen. Es gilt, einen wirksamen internationalen Kodex für die Forschung und die klinische Praxis zu entwickeln.

Rund 1.000 Delegierte aus aller Welt nahmen am 2. Weltkongress für Schlafmedizin Anfang Februar in Bangkok teil, der unter dem Motto stand: Sleep well – Live well! Promoting Better Sleep Health Worldwide. Allgemein gilt Schlaf als wesentlicher Teil von Gesundheit und Wohlbefinden. Seine restaurative Funktion im Immunsystem ist nachgewiesen.

Zunehmend verstehen Ärzte und medizinisches Personal die Tatsache, dass es sich bei Schlaf um einen wesentlichen Aspekt des 24-Stunden-Alltags handelt, unabdingbar wichtig für Gesundheit und Wohlbefinden. Wer nicht gut schläft, fühlt sich danach wie betäubt und vermag sich nicht voll zu konzentrieren, trifft unpassende Entscheidungen mit verminderter Urteilskraft. Auch besteht zwischen Schlaf und Erinnerungsvermögen eine Korrelation. Schlafforscher fanden heraus, dass Schlaf nach einem Lernvorgang die Erinnerung an das Gelernte verstärkt konsolidiert.

Laufende Untersuchungen weltweit betreffen das Schlafzentrum im verlängerten Rückenmark, im Hirnstamm. Studien im Zellularbereich verorten beispielsweise bei Narkolepsie am langen Arm von Chromosom 21 ein Eisendefizit, das Auswirkungen auf die Adenosin- und Dopamin-2-Rezeptoren hat. Eiweißbotenstoffe, sogenannte biogene Amine, Überträgerstoffe, im Hirn synthetisiert, fallen einfach aus. Eine komplexe Schlafstörung resultiert aus einem permanenten Defizit des Neurotransmitters Hypocretin, einem im Hypothalamus, einem Teil des Mittelhirns, vorherrschenden Botenstoff. Dessen Mangel führt zu einer beeinträchtigten Kontrolle über die Grenzen von Schlaf und Wachstadium, zur unterbrochenen Kontinuität und Schlaftiefe infolge von Fragmentierung und Instabilität des Schlafes. Doch auch ein ein langer Schlaf allein führt noch nicht automatisch zu guter Gesundheit. Die Qualität des Schlafes zählt!

Die pharmakologische Behandlung Schlafsüchtiger in den USA und Europa erfolgt durch die lizenzierten Drogen Modafinil und Methylphenidat. Vorauszusehen ist die Zulassung von Sodiumoxybat. In früheren Zeiten setzte man Amphetamine ein, die bald wegen zahlreicher Nebenwirkungen vom Markt verschwanden. Die Rolle von Opiaten wird in zahlreichen Testreihen untersucht. Inzwischen weiß man auch , dass Schlafentzug die Schmerzempfindlichkeit steigert.

Die internationale Wissenschaftsgemeinde ist erwacht und fordert eine bessere Zusammenarbeit von Schlafforschern und praktizierenden Ärzten ein. Doch noch fehlen entsprechende Ausbildungsplätze und Labore für Schlafmediziner, die eine simultane Überwachung der Körperorgane erlauben und den Schlafforschern ermöglichen, die Kontrollfunktionen des Körpers umfassend zu erkunden. Das ist eine der Voraussetzungen, um potenzielle Risiken und Komplikationen von Schlafstörungen zu erkennen und behandeln zu können. Hier steht die Schlafmedizin mit ihren Aufgaben noch ziemlich am Anfang.