Flucht vom Krieg in die Flutkatastrophe

Die Überschwemmungen im Norden Kenias haben 160.000 somalische Flüchtlinge an der Grenze abgeschnitten. Es drohen Seuchen. Und weil Somalia sich auf Krieg mit Äthiopien vorbereitet, werden hunderttausende neue Flüchtlinge erwartet

AUS DADAAB MARC ENGELHARDT

Seinen kranken Bruder hat Osman in einer Schubkarre ins Krankenhaus von Ifo gebracht. Auf den Pfaden im größten der drei Flüchtlingslager von Dadaab stehen metertiefe Pfützen, obwohl es seit fünf Tagen nicht mehr geregnet hat. Die Sonne sticht vom Himmel, in der kenianischen Halbwüste ist es schwül. Osman läuft der Schweiß von der Stirn. Bald, so glaubt er, wird es wieder regnen. Osmans Bruder leidet vermutlich an Tuberkulose. „Seit zwei Wochen wird das Husten täglich schlimmer, aber wegen des Wassers konnte ich ihn nicht früher herbringen.“ Seine aus Ästen und Planen zusammengebaute Hütte haben die Fluten weggespült. Osman lebt jetzt bei Freunden.

Im Krankenhaus von Ifo, das die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) betreibt, stand vor einer Woche noch Wasser. Der vollgesogene Holzboden dampft noch jetzt. „Das Wasser kam unglaublich schnell, wir mussten die Patienten und die Ausrüstung durch knietiefes Wasser in höher gelegene Häuser tragen“, erinnert sich die Ärztin Flora Bukania. Sie befürchtet, dass bald die ersten Epidemien in den Lagern von Dadaab im Nordosten Kenias ausbrechen, wo 160.000 Flüchtlinge aus Somalia auf engstem Raum zusammenleben. „Cholera ist unsere größte Angst. Und Malaria.“

Die schwüle Trockenheit gibt den Hilfsorganisationen eine kleine Verschnaufpause. Geoff Wordley vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR ist seit September in Dadaab, um die neue Flüchtlingswelle aus Somalia zu managen. Zwar leben die meisten Flüchtlinge seit Anfang der 90er-Jahre hier, als Somalias letzter Diktator Siad Barre floh und der Bürgerkrieg ausbrach. Doch seit im Juni dieses Jahres Islamisten die Hauptstadt Mogadischu übernommen haben und jetzt auch den Süden des Landes kontrollieren, wo die lokalen Clans die neuen Herren aus der Hauptstadt ablehnen, gibt es neue Fluchtbewegungen. „Mitte Oktober hatten wir pro Tag 1.000 Flüchtlinge an der Grenze stehen“, sagt Woodley. Mit museumsreifen Trucks, die er für hunderte von Euro am Tag vom kenianischen Roten Kreuz geleast hat, holten die Helfer die Flüchtlinge von der Grenze ins Lager. Dann kam der Regen. „Der Diesel reicht noch genau sechs Tage, und wenn wir bis dahin keinen Nachschub haben, gehen in ganz Dadaab die Wasserpumpen aus.“ Die einzige Straße, die das Lager mit dem Rest Kenias verbindet, ist weggespült.

Im 15 Kilometer entfernten Lager Hagadera ist über Nacht ein Strand entstanden, mitten in der Halbwüste. Noch vor einem Monat litten die Menschen unter der Dürre, die diesen Teil Kenias seit drei Jahren im Griff hatte. Als der Regen kam, konnte der Boden keinen Tropfen aufnehmen. So entstand der See von Hagadera, in dem Kinder baden, Frauen Trinkwasser schöpfen und das Vieh zur Tränke geht. „Das ist ein Krankheitsherd, aber wir können die Leute auch nicht davon abbringen, hier Wasser zu holen“, ärgert sich Bukania. In Hagadera sind viele der neuen Flüchtlinge untergekommen. Nicht weit entfernt liegt die „Trockenzone“, hoch gelegenes Land, auf das die Leute aus dem Sumpf von Ifo verlegt werden sollen.

Hassan Kale Omar und seine Frau sind gerade in der „Trockenzone“ angekommen. Sie gehören zu den „neuen“ Flüchtlingen aus Somalia. Vorsichtig biegen sie lange Äste, um ihre traditionelle somalische Unterkunft, genannt Tukul, zu bauen. „Wir sind vollkommen auf uns allein gestellt, helfen tut uns hier niemand.“ Doch alles ist besser als zurück zu müssen, ins unsichere Somalia. Das findet auch Farhan, der 1991 als 13-Jähriger zu Fuß von der südsomalischen Hafenstadt Kismayo mehrere hundert Kilometer nach Dadaab lief. Heute, 15 Jahre später, weiß er immer noch nicht, was aus seiner Familie geworden ist. „Ich bin arbeitslos, die Überschwemmungen sind schlimm, aber zurück will ich auf keinen Fall, niemals.“

Der Regen im Norden Kenias und im Süden Somalias hatte die Flüchtlingsankunft vorübergehend unterbrochen. Doch seit ein paar Tagen kommen täglich wieder 20 bis 30, die es über die angeschwollenen Flüsse im Süden Somalias geschafft haben. „Und es werden viel mehr werden, weil alle Angst haben vor einem Krieg der Islamisten mit Äthiopien“, befürchtet UNHCR-Mann Wordley. In den bestehenden Lagern ist noch Platz für 15.000, doch das wird kaum reichen, meint er. „Wir brauchen ein neues Lager, aber die kenianischen Behörden sperren sich, weil sie nicht noch mehr Somalis im Land haben wollen.“ In ein paar Monaten, so Woodleys Prognose, könnten Hunderttausende dort kampieren, wo jetzt noch Regenwasser steht.